Als Schnellimbiss ist der Döner-Kebab von den Strassen nicht mehr wegzudenken, nicht in der Schweiz und schon gar nicht in Deutschland. Doch das mit Lammfleisch gefüllte Sandwichbrot ist weit mehr als nur eine günstige Mahlzeit. Der Döner hat auch wesentlich zur Integration der türkischen Einwanderer beigetragen.
Diese Geschichte des Döners und der türkischen Einwanderer zeichnet der deutsche Publizist und Soziologe Eberhard Seidel in seinem Buch «Döner. Eine deutsch-türkische Kulturgeschichte» nach.
Am Anfang dieser kulinarischen Erfolgsstory stand allerdings eine Notlage. In den 1960er-Jahren begann in Deutschland das sogenannte «Anwerben» von Gastarbeitern aus der Türkei. Während der Wirtschaftswunderjahre waren die jungen Männer als billige Arbeitskräfte gern gesehen.
Plötzlich unwillkommen
Die Idee war, so Eberhard Seidel, dass die Männer nach getaner Arbeit wieder in ihre Heimat zurückkehren würden. Danach sollten die nächsten Gastarbeiter nachrücken. «Doch es kam anders: Die Männer wollten bleiben.» Denn zu Hause in der Türkei war das Auskommen schwierig.
Dann kam die Ölkrise der 1970er-Jahre, die sich als Arbeitskrise bis in die 1980er-Jahre zog. Plötzlich wurden die meist ungelernten Gastarbeiter nicht mehr gebraucht. Einst hatte man sie als Fabrikarbeiter geholt, doch nun setzten die grossen Fabriken auf Automatisierung und stellten die Arbeiter auf die Strasse.
Gleichzeitig wurden die Gesetze verschärft. Wer über keinen festen Aufenthaltsstatus verfügte und auf Sozialhilfe angewiesen war, wurde aus Deutschland ausgewiesen.
Selbständigkeit als Rettung
Viele Türken hätten sich überlegen müssen, wie es weitergehen soll, erzählt Seidel. Dabei seien sie zum Schluss gekommen, sich selbst Arbeitsplätze schaffen zu müssen. Also errichteten einige die ersten Döner-Kebab-Buden, anfänglich nur in Berlin.
Damit begann eine Erfolgsgeschichte, die bis heute anhält. «Weil der Döner ein sagenhaftes Preis-Leistungs-Verhältnis bot», betont Seidel. Beliebt war er vor allem bei Industriearbeitern und Studentinnen, die für neue Geschmackserlebnisse offen waren.
Immer mehr Türkinnen und Türken wollten an diesem Erfolg teilhaben. So ging in Westdeutschland eine Döner-Bude nach der anderen auf. Noch grösser war der Erfolg nach dem Mauerfall 1989 in der ehemaligen DDR.
Mustafa meets Hans
Gerade in Ostdeutschland trafen viele Deutsche beim Döner erstmals auf Migrantinnen und Migranten aus dem nahen Osten. «Vielerorts kamen Hans und Mustafa oder Helga und Ayse am Dönerstand ins Gespräch», sagt Seidel. «Das war ein Ort der Begegnung. So wurde der Döner Schritt für Schritt ein Stück deutscher Identität.»
Den Döner mochten die Deutschen. Aber nicht alle mochten die Buden-Besitzer. Eine wachsende rechtsextreme Szene setzte den Menschen aus der Türkei zu.
Nicht nur Neonazis bezeichneten die Einwanderer als Volksverräter und meinten, sie passten nicht nach Deutschland. «Es gab eine richtige anti-türkische Stimmung in der Bevölkerung, die weit in die bürgerlichen Kreise hineinreichte», so der Publizist.
Widerstand im Taschenbrot
Doch die Türkinnen und Türken liessen sich nicht vertreiben. Seidel sieht in den Dönerbuden einen Akt des Widerstands. «Mit jedem neuen Dönerstand haben sich Türken ein Stück weiter verwurzelt. Und mit jedem Döner, den sie an die Mehrheitsgesellschaft verkauft haben, gab es eine Kommunikation und einen Austausch.»
Mittlerweile sind Verkauf und Produktion der Döner eine riesige Branche geworden. Allein in Berlin werden über 80'000 Arbeitsplätze gezählt. Viele Kinder und Enkel der ersten Einwanderer haben den sozialen Aufstieg hinter sich.
Inzwischen hat es der Döner-Kebab gar bis auf die Speisekarte des berühmten Berliner Nobel-Hotels Adlon geschafft. Statt mit einer Knoblauchsauce wird er mit Trüffel-Crème serviert.