Ein Auftritt in Stahlhelm und Sturmmaske? Das passt zu Jan Böhmermanns «Reconquista Internet». Es hat ja tatsächlich was von Mobilmachung, womit der Satiriker gerade von sich reden macht.
«Die Rückeroberung des Internets»: Böhmermann hat die Aktion in seiner TV-Show präsentiert. Im Internet verbreitet. Und an der Netzkonferenz re:publica vorgestellt – artig im Anzug. Es scheint ihm ernst zu sein.
Demonstration der Liebe
Böhmermann sagt also dem Hass im Internet den Kampf an. Dem Hass von rechts vor allem. Dem Hass, der die Kommentarspalten verstopft. Er will «den Wichsern, die uns den Spass am Internet verderben, den Spass am Internet verderben.»
Dafür braucht es mehr als einen Böhmermann. Über 50’000 sind seinem Aufruf bisher gefolgt. Sie tauschen sich über die Chat-App Discord aus. Sie schalten sich mässigend in Diskussionen ein. Sie hecken Hashtags aus.
In Dresden haben sie zu einer «Montagsdemonstration der Liebe» aufgerufen. «Wir haben aus Versehen eine Bürgerrechtsbewegung gegründet», ist so ein Böhmermann-Satz, der durch die Medien geht – auch die weniger sozialen.
Schmähgedicht und Trump-Videos
Schlagzeilen macht es meist, wenn Böhmermann was anzettelt. Es begann damit, dass er sich über die Grösse von Erdogans Gemächt Gedanken machte und die Grenzen des Genres «Schmähgedicht» auslotete. Die Folge waren eine deutsch-türkische Beziehungskrise und der schreckliche Verdacht: War das bedeutende, weil staatspolitische relevant gewordene Spasskunst?
Es kam – ohne Böhmermann wäre sie wohl kaum so «big» geworden – die Aktion mit den Videos, die sich über den Trump-Slogan «America First» lustig machten. Holland und Deutschland, Swasiland und Switzerland: Kein Land mit eigener Satire-Sendung, das nicht «second» sein wollte und um Trumps Gunst in Besuchsform buhlte. Oder um einen Retweet?
Ruhiger blieb es um Böhmermanns Ausstellung «Deuscthland» in Düsseldorf. Obwohl da ein Buchstabe im Titel verrutscht war – nach rechts. Im NRW-Forum es gab es dreiste Dinge zu sehen. Das «Reichspark-Projekt» zum Beispiel: Hart an der Scherzgrenze, wenn man dem Satiriker auf einem virtuellen Rundgang durch den «Führerbunker» bis nach Stalingrad folgen kann.
Durchhalteparolen in Dresden
Für «Reconquista Internet» erntete Jan Böhmermann zunächst Applaus – von fast allen Seiten. Wer will auch etwas einwenden, wenn eine Anti-Troll-Armee den Halbschatten der Chatrooms verlässt und «Ihr seid nicht alleine!»- Botschaften auf die Dresdner Frauenkirche projiziert?
Inzwischen wird auch Kritik laut. Das ZDF, die Heimat von Böhmermanns TV-Sendung, zeigt sich «not amused» von Böhmermanns Aktion. Der Grund: Böhmermann hatte angekündigt, eine Namensliste der rechten Trollfabrik «Reconquista Germanica» zu veröffentlichen, an dessen Namen sich Böhmermanns Projekt anlehnt.
«Ohne Bezug zur Realität»
«Satirischen Klamauk mit Wohlfühlfaktor» hat man ausgerechnet in der linken Ecke ausgemacht. Um gegen rechte Netzwerke vorzugehen, müsse man «die Zustände beseitigen, die ihren Erfolg erst möglich machen», heisst es etwa. Das sei «komplizierter und unbequemer als, sich auf der Seite der Guten wähnend, im Netz gegen die Bösen zu kämpfen.»
Dass Böhmermann den Satz hat fallen lassen, seine Aktion sei «reine Satire und ohne Bezug zur Realität», ist ihm da auch keine Hilfe. Aber hier beginnt sie, die eigentliche Böhmermann-Zone. Er stösst einen Diskurs an und sieht mit einem Lächeln zu, wie die Dinge ihren Lauf nehmen. Seine rechten Gegner twittern derweil unter #BöhmermannGate und #Böhmermannsturm.
Alles unter Kontrolle, alles noch rein virtuell. Wenn es wirklich eng werden sollte, wird Böhmermann sich vielleicht wieder den Helm aufsetzen. Oder halt eine Narrenkappe.