Die Pandemie schlägt auf die kollektive Psyche. Das bestätigt auch die neue Swiss Corona Stress Study der Universität Basel. Weniger bekannt: Eine Corona-Erkrankung in der Familie kann auch das Sozialverhalten negativ beeinflussen.
Eine Studie neu gedacht
Ursprünglich sollte die Lausanner Studie bei Jugendlichen das Verhalten in Netzwerken untersuchen, und wie Netzwerkverhalten ökonomische Entscheidungen beeinflusst.
Dann kam im Februar 2020 Corona – und die Forschenden erreichten für eine zweite Erhebung nur noch einen Bruchteil der Jugendlichen. Daraus entstand eine neue Forschungsfrage: Inwiefern haben Corona-Erkrankungen in der Familie einen Einfluss auf das Verhalten der befragten Jugendlichen? Das Ergebnis verblüffte den Verhaltensökonom Matthias Sutter, Co-Autor der Studie.
Die Schere wird grösser
Eine Covid-Erkrankung verringert die Bereitschaft von Jugendlichen aus unterprivilegierten Familien, anderen Menschen zu vertrauen, mit ihnen zu kooperieren, ihnen zu helfen. Corona zeigt also einen negativen Einfluss auf die sogenannte Prosozialität.
Unterschiede in der Prosozialität zwischen besser und weniger gut gestellten Jugendlichen seien zwar nichts Neues, meint Matthias Sutter: «Das ist auch schon längst vor der aktuellen Pandemie nachgewiesen worden. Weil die Prosozialität für das Arbeitsleben später so wichtig ist, gibt es Überlegungen; wie kann man diese Schere schliessen?»
Doch Corona habe diese Bemühungen praktisch zunichtegemacht. Die Unterschiede in der Sozialität seien im Gegenteil aufs Dreifache angewachsen.
Das Misstrauen wächst
Die Effekte haben die Studienautoren experimentell gemessen. Zum Beispiel an der Frage, wie stark man anderen vertraut – mithilfe einer virtuellen Spielsituation: «Ich gebe jemand anderem etwas rüber, das wird verdoppelt und dieser kann etwas zurückgeben. Wenn ich nicht darauf vertraue, dass mir jemand auch mal einen Vertrauensvorschuss zurückzahlt, dann sollte ich gar nichts hergeben. Stattdessen sollte ich alles für mich behalten.»
Genau dies sei bei den sozial benachteiligten Jugendlichen passiert, so Matthias Sutter. Sie misstrauten den anderen. In den Versuchen waren sie auch kaum bereit, mit anderen zusammenzuarbeiten oder Geld zu spenden.
Die Pandemie geht schneller an die Existenz
Die Pandemie trifft Unterprivilegierte ohnehin stärker, etwa durch Arbeitslosigkeit oder fehlende Möglichkeiten zum Homeoffice. Doch diese Faktoren erklären das Ergebnis der Lausanner Studie nicht.
Es könnte eher an der Bedrohlichkeit von Covid-19 liegen, sagt Matthias Sutter. Bei weniger Privilegierten geht die Krankheit schneller an die Existenz.
«Wenn man mit so einer Gefahr konfrontiert ist, dann schaut man mehr auf sich selber, wie in unserer Studie, und vielleicht auch auf die Familie», vermutet Sutter. «Man gibt weniger ab, kooperiert weniger – und vor allem: Man ist weniger vertrauensvoll.»
Soft Skills für die Zukunft fehlen
Diese Verhaltensweisen treffen sehr wahrscheinlich auch auf die Erwachsenen zu, so der Verhaltensökonom. Die Leidtragenden der Pandemie seien vor allem die Jugendlichen. Soft Skills wie die Prosozialität seien für den weiteren Lebensweg sehr wichtig. Wenn diese bei Jugendlichen aus unteren Schichten beeinträchtigt würden, sei das besonders schlecht.
Matthias Sutter findet deshalb: Die Politik müsse bei den Pandemiemassnahmen auch langfristig denken und soziale Aspekte mitberücksichtigen. Sonst drohe ein Teil der Jugendlichen durch die Maschen zu fallen.