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Kampf im Exil Hongkongs Hoffnung auf Demokratie lebt in London

Ihre Bilder der Demokratiebewegung in Hongkong gingen um die Welt. Heute fotografiert May James im englischen Exil und leidet – wie viele andere, die aus Hongkong geflohen sind.

Man sah sie praktisch an jedem Protestmarsch in Hongkong: Eine zierliche Frau, schwer behängt mit Fotokameras, immer mit einem Halstuch unterwegs, um sich gegen Tränengasschwaden zu schützen. Das war 2019.

Heute wird in Hongkong nicht mehr demonstriert. Ein drakonisches Gesetz zur Einhaltung der «nationalen Sicherheit» hat die Demokratiebewegung zum Schweigen gebracht. Eine Wahlreform verunmöglicht prodemokratische Kandidaturen.

Auch May James fotografiert nicht mehr in Hongkong: Die Pressevereinigungen, denen sie angehörte, wurden aberkannt. Und damit ihre Akkreditierung als Pressefotografin.

May James, Fotografin

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Eine Frau mit Helm, Kamera und Mundschutz
Legende: May James

May James begann ihre fotografische Karriere 1995 mit Werbefotografie. Sie unterbrach ihre Karriere für mehrere Jahre, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Seit 2019 arbeitet sie als freiberuflich für verschiedene Unternehmen wie Hong Kong Free Press, Agence France-Press und Bloomberg. Sie hat in Grossbritannien und Hongkong gearbeitet. Ihre Arbeiten erschienen im Wall Street Journal, Washington Post, New York Times, The Guardian und vielen anderen.

Als die Proteste in Hongkong begannen, rutschte sie eher zufällig, wie sie sagt, in die Rolle der fotografischen Dokumentaristin.

Vor zehn Monaten verliess sie Hongkong und zog mit ihrer Familie nach London. Hier arbeitet sie jetzt für Nachrichtenagentur Reuters.

Auswanderungen ohne Ende

Seit Dezember 2020 lebt May James in London. Bis zum März 2021 sollen gemäss Hongkonger Medien bereits 130'000 Menschen die Stadt verlassen haben. Hauptsächlich zieht es sie nach Australien und Grossbritannien.

Dort rechnet man in den nächsten fünf Jahren mit 300'000 Menschen, die aus der ehemaligen Kronkolonie einwandern werden. Bis jetzt haben 34'000 Hongkonger und Hongkongerinnen in England um ein «British National Oversea»-Visum nachgesucht, um vorläufig bleiben zu können.

Ursprünglich sei sie nur ausgereist, um ihre Töchter zu ihrem englischen Vater zu bringen, erzählt May James. «Ich wollte sie im sicheren Ausland wissen, um dann wieder zurück nach Hongkong zu reisen, zurück zur Arbeit.» Doch die Delta-Variante durchkreuzte ihre Pläne. Plötzlich sass sie in London fest und musste sich entscheiden.

Sie entschied sich für das Exil – ein schmerzhafter Gedanke, den sie in der ganzen Tragweite noch nicht zulassen kann: «Ich betrachte Hongkong immer noch als mein Daheim. Auch wenn ich die nächsten paar Jahre wohl hierbleiben werde, es ist für mich unvorstellbar, nicht mehr zurückzukehren.»

David Wong, Musiker und Cellolehrer

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Ein Mann spielt Cello, hinter ihm die Aussicht über eine Stadt.
Legende: May James / al jazeera

«In der Nacht des 21. Juli 2019 hatte ich Glück. Ich schaltete die Nachrichten ein und sah, dass am selben Bahnhof, den ich gerade auf dem Heimweg von einer Demonstration passiert hatte, ein Anschlag verübt worden war. Hunderte von Männern in weissen T-Shirts griffen (schwarz gekleidete) Zivilisten an. Aber ich war so besorgt, dass es wieder passieren würde und ich beim nächsten Mal nicht so viel Glück haben würde. Seitdem ist das Vertrauen zwischen der Polizei und den Bürgern gebrochen. Das war ein Wendepunkt, und irgendwie ist das für mich unlösbar.»

David Wong produzierte und spielte Musik für die Hongkong-Proteste. Seit Dezember 2019 lebt er in Grossbritannien.

Linientreue Patrioten statt mündige Bürger

Was für May James ebenso unvorstellbar ist: Ihre beiden Töchter, 12 und 16 Jahre alt, weiterhin in Hongkong zur Schule gehen zu lassen. Denn der Erziehungssektor wird tiefgreifend umgestaltet, um die Jugend auf patriotische Werte einzuschwören.

«Das Schulfach ‹liberal studies› ist abgeschafft worden», sagt James. «Hier lernten Schüler, kritische Fragen zu stellen und zu diskutieren». Das ist nun nicht mehr gefragt. Stattdessen stehen Themen wie «nationale Erziehung» auf dem Lehrplan, um, so heisst es von offizieller Seite, die Jugend «vor einseitigen westlichen Perspektiven zu schützen.»

Und bereits wird gesäubert: Begriffe wie «Gewaltenteilung» werden aus Schulbüchern gestrichen, kritische Lehrer entlassen, Lieder und Filme verboten und die prodemokratische Zeitung Apple Daily wurde eingestellt.

Selbst unpolitische Menschen schweigen, weil sie nicht genau wissen, wo die rote Linie ist, die nicht überschritten werden darf. «Die Menschen in Hongkong haben Angst», sagt May James. «Sie beginnen sich konstant selbst zu zensieren. Es ist, als ob man nicht mehr atmen kann. Man erstickt. Und deshalb muss man gehen.»

Ted Hui Chi-fung, ehem. Oppositionsabgeordneter

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Mann umarmt kleines Mädchen.
Legende: May James / al jazeera

»Sie kommen sehr früh am Morgen, legen dir Handschellen an und schicken dich direkt auf die Polizeiwache oder ins Gericht. Jeder Moment kann das Ende deiner Freiheit bedeuten. Meine Familie hat nicht nur gesehen, wie sie mich verhaftet haben, die Polizei ist ihnen auch gefolgt. Meine Frau hatte Albträume, dass wir gefasst werden. Meine Kinder sagten, wenn wir nicht abhauen, wird der «Bösewicht» kommen und uns holen.»

Ted Hui ist einer von 15 Hongkonger Gesetzgebern, die im vergangenen Jahr aus Protest aus dem Legislativrat der Stadt ausgetreten sind, nachdem Peking vier andere Politiker wegen «Unpatriotismus» ausgeschlossen hatte.

Einleben im Exil

Die Hongkonger Diaspora beschreibt May James als sehr divers. «Einerseits besteht sie aus Menschen, denen in Hongkong Verfolgung drohte, wie dem Aktivisten Nathan Law, der jetzt Asyl erhalten hat.

Die weitaus grössere Gruppe aber besteht aus normalen Menschen und ihren Familien: Geschäftsleute, Mediziner, Journalisten. Sie waren nicht politisch aktiv, sie liefen aber wohl bei den friedlichen Protestmärschen mit.»

Das Einleben in der Fremde fällt auch gut ausgebildeten und finanziell abgesicherten Hongkongern schwer. Viele Berufsdiplome sind in England nicht anerkannt, und die Pandemierestriktionen erschweren alles. Die Briten seien den Hongkongern gegenüber neutral bis wohlwollend eingestellt, erzählt May James.

Leichte Beunruhigung wird allenfalls spürbar, wenn reiche Hongkonger Immobilien kaufen und so die Preise in die Höhe treiben. Andererseits könnte das Brexit-geschüttelte Grossbritannien langfristig von den vielen hochqualifizierten Einwanderer profitieren.

Die Erinnerung wachhalten

Während es einem Grossteil der Hongkonger darum geht, eine neue Existenz aufzubauen, haben die Aktivisten ihre Träume von einem freien Hongkong noch nicht beerdigt. Regelmässig finden in englischen Städten Kundgebungen statt, an denen dieselben Parolen erklingen und die gleichen Fahnen geschwungen werden wie vor zwei Jahren in Hongkong.

Ausserhalb der Community stossen diese Demonstrationen auf keine grosse Resonanz, und die Hoffnung, damit etwas in der Heimat verändern zu können, ist verschwindend klein.

«Fast eine Familie»

Und wieder ist May James mit der Kamera dabei. «Es ist meine Aufgabe, die Diaspora zu dokumentieren. Die Entstehung der Demokratiebewegung 2019 war ein historischer Moment. Ich bin glücklich, dass ich so nahe dran war. Und ich möchte alles festhalten, damit die kollektive Erinnerung nicht verloren geht.»

Denn die Geschichte zeigt, dass China Ereignisse, die nicht ins offizielle Narrativ passen, erfolgreich verdrängt und vergisst – zuletzt geschehen beim Tiananmen-Massaker.

Nun hält May James diese Momente fest und sammelt die Erzählungen der Auswanderer für ein Buchprojekt. Das verbindet und tröstet auch ein bisschen: «Ich bin hier nicht allein. Eine Gemeinschaft ist entstanden – und sie ist für mich fast eine Familie.»

Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 14.9.2021, 07:52 Uhr

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