Montlingen, St. Gallen, ist die Heimat von Mergim Ahmeti. Dort wächst er auf, absolviert die Schule, kickt im Fussballverein, macht die KV-Lehre. Trotzdem fühlt er sich als Gast in seiner Heimat, hat keine staatsbürgerlichen Rechte und ist bei Abstimmungen ausgeschlossen.
Mergim will sich einbürgern lassen. Besorgt alle Dokumente, bereitet sich auf das Einbürgerungsgespräch bei der Gemeinde vor.
Das Einbürgerungsverfahren ist komplex. Gemeinde, Kanton und Bund sind involviert.
Der Föderalismus bringt Kantonen viel Autonomie
«Das Schweizer Einbürgerungssystem ist weltweit ein Unikat. Diese Dreifaltigkeit des Einbürgerungsrecht geht zurück auf den Föderalismus», erklärt Titularprofessor Peter Uebersax von der Universität Basel, spezialisiert auf Migrationsrecht.
Dank dem Föderalismus haben die Kantone in der Schweiz viel Autonomie. Sie dürfen festlegen, wie weit die Gemeinden neben den Voraussetzungen des Bundes noch Voraussetzungen festlegen dürfen.
Beispielsweise, wie lange man in einer Gemeinde wohnhaft sein muss – ob drei oder fünf Jahre – neben den geforderten 10 Jahren des Bundes. Oder ob eine Einbürgerungskommission oder die Gemeindeversammlung über die Gesuche entscheidet.
Die Gemeinden sind frei darin zu entscheiden, was sie genau unter dem Wort «Integration» verstehen. «Es gibt Gemeinden, die strenger sind als andere. Man kann also Glück oder Pech haben», so Uebersax.
Auch mit den Wohnsitzfristen gehe jede Gemeinde anders um. Umziehen kann dazu führen, dass man erneut fünf Jahre warten muss.
«Aber nicht, dass Sie hier Ihren Gebetsteppich ausrollen»
Für Mergim Ahmeti wirkt das Wort «Integration» befremdlich. Er ist in der Schweiz geboren, kennt keine andere Heimat. Beim Einbürgerungsgespräch aber sei er zum Fremden gemacht worden, erzählt Ahmeti. Es sei die längste Zeit um seine Herkunft und Religion gegangen. Mergim ist Muslim.
«Der eine aus dem Einbürgerungsrat meinte: ‹Aber nicht, dass Sie hier Ihren Gebetsteppich ausrollen.› Das war erniedrigend», erinnert sich der 26-Jährige.
Dann gab es einen Kommentar zu seiner Frisur, Mergim hat lange Haare. Das sei «kein typischer Ausländerhaarschnitt», hiess es. Und der Einbürgerungsrat wollten wissen, was er davon halte, dass Frauen in Saudi-Arabien nicht Autofahren dürfen.
Ahmeti ist überzeugt: Der Einbürgerungsrat wollte ihn mit solchen Fragen verunsichern und einen Grund finden, ihn abzulehnen. Den fanden sie: Der Rat will wissen, wie viele Restaurants es in Montlingen gibt. Mergim weiss, dass es vier sind, kann aber nicht alle Namen aufzählen.
Wildwuchs bei den Einbürgerungen?
In der Schweiz gibt es 2171 Gemeinden und entsprechend eine Vielfalt an möglichen Einbürgerungsreglementen. Verstösst das gegen das Gleichbehandlungsprinzip?
«In einem föderalistischen Staat ist es zwangsläufig so, dass es Unterschiede gibt, das ist nicht per se ein Problem», so Peter Uebersax. «Aber es gibt eine Grenze, wo es stossend wird. Da, wo Handlungen und Abläufe gegen das Diskriminierungs- und Willkürverbot verstossen.»
Diese Grenze wurde beim Mergim Ahmeti überschritten. Die Gemeinde lehnt sein Einbürgerungsgesuch mit der Begründung ab, er sei zu schwach integriert im Dorf, kenne die Dorfbeizen nicht.
Mergim Ahmeti ist überzeugt, dass dieser Entscheid nicht rechtens sei, legt beim Kanton Rekurs ein und bekommt Recht. Der Kanton hält fest, der Einbürgerungsrat habe seinen Ermessenspielraum «missbräuchlich beziehungsweise willkürlich genutzt». Mergim muss eingebürgert werden.
«Der Rote Pass verkörpert meinen Kampf um gleiche Rechte. Mein Leben lang musste ich kämpfen, schon als Kind, beweisen, dass ich zu ‹den Guten› gehöre. Ich habe Rassismus und Diskriminierung erlebt», sagt Ahmeti. Die Gemeinde Montlingen-Oberriet will sich zum Fall nicht mehr äussern.
Früher liberal, heute restriktiv
Etwa 30'000 bis 35'000 Menschen durchlaufen jedes Jahr das Einbürgerungsprozedere. Immer wieder kommt es zu haarsträubenden Vorfällen, wo Gemeinden ihren Ermessensspielraum missbrauchen. Und so wird über das Einbürgerungsverfahren auch immer wieder gestritten. Zur Zeit sind im Parlament verschiedene Vorstösse hängig.
Die Schweiz hat europaweit das restriktivste Einbürgerungsverfahren. Das sei aber nicht immer so gewesen, erklärt Peter Uebersax: «Anfangs des 20. Jahrhunderts galt in der Schweiz der Grundsatz ‹Integration durch Einbürgerung›. Schon nach zwei Jahren konnte man sich einbürgern lassen», sagt er.
Die Idee sei gewesen, dass man sich besser integriere, wenn man die Staatsbürgerrechte hat. Das sei übrigens wissenschaftlich nachgewiesen, so Uebersax.
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