Wer denkt, ältere Menschen seien von gestern, ist nicht mehr up-to-date. Der Opa, der den guten alten Zeiten nachtrauert, oder die Oma, die schmunzelnd auf ihrem Schaukelstuhl sitzt: Sie scheinen passé. Die Pensionäre von heute sind meist aktiv, gewisse auch in den sozialen Medien.
Ein Extremfall sind Granfluencer: Influencer im fortgeschrittenen Alter, die auf Tiktok und Co. ihre Tätigkeiten und Talente zur Schau stellen. Da gibt es etwa «Gramps», der im Supreme-Pull oder mit Nike-Sneakern posiert. Oder den hippen Berliner Günther, der im Dandy-Outfit durch die Metropole tänzelt.
Oder Joan MacDonald: eine einst etwas korpulentere Dame, die ihren stählernen Body präsentiert. «If I can do it, you can do it», motiviert sie ihre 2 Millionen Follower.
Für François Höpflinger, Soziologieprofessor und Altersforscher in Pension, sind Granfluencer ein Ausnahmephänomen – und darum spannend: «Wenn sich jemand mit 80 verhält wie 20, ist das komisch – und deshalb attraktiv. Es liegt quer zu den traditionellen Altersbildern.» Ein traditionelles Bild, das bröckelt.
Alte Menschen werden jünger
Als Vorzeigebeispiel und Pionierin nennt Höpflinger die US-amerikanischen Iris Apfel, die 102-jährig verstarb und nicht nur wegen ihrer Rundbrille ein Hingucker war. Als betagte Person auf Social Media fiel sie aus dem Rahmen.
Gleichzeitig reihen sich die Ausnahmefälle wie Apfel in eine Tendenz ein, die sich jenseits der Social-Media-Extreme zeige, so Höpflinger: «Man spricht von einer soziokulturellen Verjüngung des Alters: Ältere Menschen verhalten sich im Vergleich zu früher deutlich jünger als Gleichaltrige damals». Sie würden sich modischer kleiden – oder mit technischen Trends mitgehen.
Alt sind die anderen
Alter: für viele nur eine Zahl. Eine Studie der Forschungsstelle Sotomo zu Altersbildern aus dem Jahr 2019 zeige etwa, dass sich bei den über 69-Jährigen nur 15 Prozent als alt bezeichnen würde. Bemerkenswert: Knapp ein Viertel dieser Altersgruppe hält sich gar für jung.
«Wir stellen bei älteren Menschen zunehmend eine Diskrepanz zwischen dem innerlichen und dem körperlichen Dasein fest», führt Höpflinger aus. Bedeutet: Der Geist bleibt fit, während «nur» der Körper abgibt. Dieser wiederum hält heute meist länger.
Leistung bis zum Schluss?
Bedeutet die steigende Lebenserwartung, dass man von Rentnern erwartet, dass sie jung halten müssen? Hat man selbst im Ruhestand Stress, jung zu bleiben? Sich auf Social Media zur Schau zu stellen?
Als Stress sieht Höpflinger das nicht. Eher als logische Entwicklung in einer Gesellschaft, in der neue Leistungsanforderungen gelten: «Ähnlich wie es heutzutage mehr Ratgeber zum Thema Erziehung oder Beziehungen gibt, gibt es mehr Tipps, wie man im Alter lange fit bleiben kann.»
Wer offen ist, lebt länger?
Für alte Menschen sei es wichtig, nicht als «gestrandete Zeitreisende in einer Gesellschaft zu verenden, die sie nicht mehr verstehen». Klingt poetisch – und kann die Wissenschaft untermauern: «Es gibt Hinweise, dass Leute, die offen sind für Neuentwicklungen bis ins hohe Lebensalter eine bessere Lebensqualität haben.»
Höpflinger betont, dass man «moderat» offen sein könne. Oma muss nicht gleich Granfluencer werden. Sie darf aber ruhig etwas auf Social Media posten.