Jüngst sorgte ein Papier aus Rom für heftige Kritik: Die Glaubenskongregation betonte darin, dass gleichgeschlechtliche Paare weiterhin nicht gesegnet werden dürfen.
Erst letzten Herbst wollte Papst Franziskus die Rechte Homosexueller stärken. Im Film «Francesco» sagte er etwa: «Homosexuelle sind Kinder Gottes und haben das Recht auf eine Familie». Oder er forderte für Länder, die das noch nicht kennen, ein Gesetz für die zivile Partnerschaft
Homosexueller.
«Das finde ich himmelschreiend»
Von einer «Ehe für alle» oder vom Segen für Homosexuelle will Papst Franziskus aber nichts wissen. Das erwähnte Papier hat auch er unterschrieben. «Das finde ich himmelschreiend», sagt Pierre Stutz. Der erfolgreiche Autor spiritueller Bücher hat sich 2002 als schwul geoutet und sein Priesteramt niedergelegt. Heute lebt er mit seinem Mann in Deutschland. «Dass eine Glaubensgemeinschaft zu wissen meint, was Gott will und was nicht, finde ich eine Anmassung», sagt der 68-Jährige.
Das Schreiben markiere einmal mehr die Diskrepanz zwischen der offiziellen Lehrmeinung aus Rom und dem, was Menschen an der Basis oder Theologieprofessorinnen denken würden. Selbst Ordensleute und Priester haben sich in den letzten Wochen solidarisch gezeigt: «Dafür bin ich sehr dankbar», sagt Pierre Stutz und ergänzt: «Seit meinem Outing habe ich schon vieles erlebt, aber die aktuelle Welle der Empörung ist unglaublich gross und gibt mir neue Kraft.»
Uneinigkeit in der Kirche
Nicht nur für die römisch-katholische Kirche ist das Thema Homosexualität ein heisses Eisen. Auch östliche Kirchen wie etwa in Russland haben Mühe mit Homosexuellen oder trans Personen. Bei der methodistischen Kirche ringt man seit Jahren um Einigkeit, weil mit queeren Menschen unterschiedlich umgegangen wird. Manche befürchten gar eine Kirchenspaltung.
Kirchenvertreter argumentieren immer wieder mit der Bibel gegen Homosexualität. Das stört Pierre Stutz: «Die wenigen Bibelstellen gehen davon aus, dass alle Menschen heterosexuell sind und einige böswillig durch homosexuelle Akte gedemütigt werden sollen.» So ginge es eher um Gewalt und nicht um Liebe: «Es geht nicht um die spielerische Schöpfungskraft Gottes, die selbst Theologieprofessorinnen oder Theologen anerkennen und die Humanwissenschaften unter Homosexualität verstehen.»
Outing in der Freikirche
Dass mit der Bibel argumentiert wird, findet auch Priscilla Schwendimann unverhältnismässig: «Es sind bloss drei Bibelstellen im Vergleich zu 31‘000 anderen, die das Thema aufgreifen», gibt die reformierte Pfarrerin zu bedenken.
Sie lebt selbst seit rund neun Jahren mit einer Frau zusammen. Während ihrem Outing lebte sie noch in einem freikirchlich geprägten Umfeld. «Meine Frau und ich erlebten damals sehr viel Ablehnung», erinnert sie sich und fügt an: «Grundsätzlich ist das Thema nach wie vor bei Freikirchen sehr negativ konnotiert.»
Die Schweizerische Evangelische Allianz (SEA) unterstützte etwa das Referendum gegen die «Ehe für alle». Der christliche Interessensverband, mehrheitlich bestehend aus evangelischen Freikirchen, stösst sich insbesondere an der Samenspende für lesbische Paare. Ein Kind brauche Vater und Mutter, schrieb die SEA.
Diskriminierung ist menschengemacht
Für Priscilla Schwendimann steht die Würde des Menschen im Zentrum: «Wenn wir tatsächlich in Gottes Ebenbild gemacht sind, hat jeder Mensch dieselbe Würde von Gott zugesprochen bekommen. Warum sollten manche mehr von dieser Würde haben und andere weniger? Das verstehe ich nicht.»
Die 28-Jährige möchte eine Vermittlerin zwischen den Lagern sein. Sie wolle in der konkreten Begegnung mehr Verständnis schaffen, die zunehmend verhärteten Fronten verändern. So hat sie etwa einen Antrag gestellt bei der reformierten Kirche der Stadt Zürich: Es soll eine LGBT-Pfarrstelle geschaffen werden.
Die Stelle wurde letzte Woche gesprochen. «Ich freue mich enorm, dass die reformierte Kirche Zürich damit auch das Bedürfnis und die Menschen dahinter anerkennt», hält Priscilla Schwendimann fest.