Rassismus ist Sünde. Da sind die Kirchen einig. Trotzdem gibt es auch unter Christinnen und Christen Rassismus. Darum prüfen die kirchlichen Missionswerke selbstkritisch ihre Vergangenheit im Kolonialismus. Was wirkt davon bis heute rassistisch weiter?
Die Black-Lives-Matter-Proteste waren der Anstoss, sich erneut mit Rassismus zu befassen, erklärt Claudia Buess von «Mission 21». Das internationale Hilfswerk hielt dazu fünf Webinare ab. So kamen Kirchenmenschen auf vier Kontinenten miteinander ins Gespräch über Mission und Kolonialismus einst und Rassismus heute.
Im Webinar informierten Forschende aus Theologie, Geschichte und Soziologie über die Nachwirkungen von Kolonialismus und Sklaverei in den Ländern des globalen Südens.
Religionen sind keine Rassismustreiber
Sie betonen mehrheitlich: Weder Islam noch Christentum seien per se rassistisch. Im Gegenteil. Jedoch liessen sich sowohl Christinnen wie Muslime immer wieder für diskriminierende und ausbeuterische Systeme einspannen. Das müsse auch theologisch bekämpft werden.
Der römisch-katholische Geistliche und Menschenrechler Obiora Ike aus Nigeria sagt: «Wer christlich ist, kann nicht rassistisch sein. Alle Menschen sind gleich und alle nach Gottes Ebenbild geschaffen.»
Soweit, so klar. Aber: Tragen die Missionsgesellschaften nicht auch eine Mitschuld daran, dass Menschen anderer Hautfarben bis heute als Menschen zweiter, dritter Klasse behandelt werden? Diese selbstkritische Frage kommt aus der Zentrale der «Mission 21» in Basel.
Das Hilfswerk ist die Nachfolgeorganisation mehrerer Missionswerke. Sie machten das 19. Jahrhundert zum «Missionsjahrhundert». Das war zeitgleich mit dem Entstehen des säkularen Rassismus, erinnert Mitarbeiterin Claudia Buess.
Der evangelische Theologiedozent Nana Kwakye aus Ghana sagt: «Wir müssen alles aus der Vergangenheit, alles was vorgefallen ist, offen auf den Tisch legen». Dabei sieht er das Kirchennetzwerk auf guten Weg.
Kwakye beschreibt die Wirkung der Mission in Ghana als mehrheitlich positiv: Der heutige Stand an Bildung, Gesundheit und Ökonomie verdanke sich der Missionsarbeit. Das bestätigt auch der indische Theologe P.T. George aus Bangalore. Christliche Missionare hätten die krassesten Auswüchse des Kastensystems in Indien abgemildert.
Offen zugängliches Archiv
Viele ihrer Erkenntnisse haben die Forschenden des Südens im Archiv der Basler Mission recherchiert. Dieses Archiv ist riesig und steht allen offen. Es leiste einen wichtigen Beitrag zur Identitätsbildung der ehemals «Missionierten», sagen sie.
Im digitalisierten Bildarchiv der Basler Mission konnte die Religionspädagogin Tong Wing-sze sogar im Lockdown arbeiten. Von Hongkong aus sichtete sie tausende Fotos. Genau wie Kwakye aus Ghana fand auch die Hongkongerin hier Zeugnisse ihrer Vorfahren. Briefe und Bilder, die in ihren eigenen Ländern nicht aufbewahrt wurden.
Sich die eigene Geschichte aneignen zu können, emanzipiert die ehemals «Missionierten». Das schafft Selbstbewusstsein. Und das braucht es für einen Dialog auf Augenhöhe.
«Mentale Sklaverei steckt immer noch in unseren Köpfen»
Der Ghanaer Nana Kwakye regt sich nämlich besonders über die Mentalität in seiner Heimat auf: Manche Landsleute begrüssten «weisse» Besucher aus Europa immer noch mit «My master» oder gar «My Lord». Das sei unwürdig. Und es zeigt: «Mentale Sklaverei steckt immer noch in unseren Köpfen.»
Genau solche Machtgefälle will «Mission 21» bekämpfen. Darum sind die Kirchen des Südens auch im Leitungsgremium des heutigen Hilfswerks. Sie entscheiden hier mit über die Zukunft, auf Augenhöhe.