«Jeder und jede kann sich mit einem Skelett identifizieren, weil wir alle eins besitzen», sagt Sandra Lösch. Die 41-Jährige leitet die Anthropologie der Universität Bern, die zum Institut für Rechtsmedizin gehört.
Neben archäologischen Funden aus dem Kanton Bern bearbeiten Lösch und ihr – ausschliesslich weibliches – Team auch forensische Fälle. Fälle also, in denen es um kriminaltechnische Ermittlungen geht.
Anthropologen braucht es dann, wenn von einem Körper nur noch Knochen oder Knochenfragmente übrig sind. Etwa einmal im Monat liefern die Polizei oder der kriminaltechnische Dienst solche Fundstücke ab: in Plastiksäcken oder Kartonschachteln verpackte Knochen, die jemand irgendwo – meist im Freien – gefunden hat.
«Manchmal rücken wir auch selbst aus und schauen uns den Fund vor Ort an», erzählt Sandra Lösch. «Dann sperren wir das Gebiet ab, dokumentieren alles und graben mit Hilfe der Polizei noch weiter aus.»
Der Boom nach «Bones»
Die forensische Anthropologie ist ein vergleichsweise junges Fach. Sie etablierte sich erst ab den 1970er-Jahren, als eine Art Mischung zwischen Verbrechenslehre und anthropologischer Menschenkunde.
In den Nullerjahren begann das Fach zu boomen – dank dem Fernsehen. Die US-Serie «Bones» etwa verhalf der forensischen Anthropologie zu Kultstatus. Allerdings vermittelt «Bones» kein realistisches Bild der professionellen «Knochenjäger» – zumindest nicht für Berner Verhältnisse.
«Wir untersuchen die Knochen eher konservativ», sagt Sandra Lösch. «Wir reinigen sie, entnehmen Proben für genetische Analysen und eine Datierung. Und wir bestimmen das Geschlecht und die Körpergrösse.»
Daraus ergeben sich wichtige Hinweise für die Polizei oder die ermittelnden Behörden, um die Suche nach einer gesuchten Person einzugrenzen. Oft sind dies Personen, die schon seit Jahren oder Jahrzehnten vermisst sind. Gerade im Sommer stossen Wanderer in den Bergen öfters auf Knochenreste, die von den schmelzenden Gletschern freigegeben werden.
Spuren am Skelett
Stück für Stück puzzeln die Anthropologinnen die Informationen zusammen, grenzen systematisch den Kreis von Vermissten ein, zu denen die Knochen gehören könnten.
Auch die Todesursache wird routinemässig ermittelt. Manchmal sind es Verletzungen des Weichgewebes, die zum Tode geführt haben, doch in vielen Fällen hinterlässt der Tod seine Spuren am Skelett: «Etwa Schädelfrakturen, die definitiv auf Gewalt zurückzuführen sind», sagt Sandra Lösch.
Nicht immer gelingt es dank diesen Untersuchungen, Knochenfunde zu identifizieren. «Man kommt manchmal an einem Punkt nicht mehr weiter», erklärt Sandra Lösch. «Am Ende gibt es weder Opfer noch Täter, sondern nur Skelettreste, die namenlos bleiben.» Das sei frustrierend, auch für die Polizei.
Die unbekannten Gebeine bleiben eine Weile in den Räumen der Anthropologie. «Dann entscheidet die Staatsanwaltschaft irgendwann, dass man die Person bestattet», sagt Lösch. Die Knochen landen wieder dort, wo das meiste Leben irgendwann endet: unter der Erde.