SRF: Was passiert mit jemandem, der flüchten muss?
Mano Khalil: Sobald man seine Heimat verlassen muss, stirbt ein Stück menschliche Würde. Sobald man sein eigenes Bett zurücklässt und auf ein Stück Brot und ein Glas Wasser angewiesen ist, ist eigentlich nichts mehr wie vorher. Man fühlt sich wie ein Sklave.
Wie kann man das in der Ausstellung «Flucht» nachempfinden?
Ich erzähle in einer kleinen Geschichte, wie ein Mensch zum Flüchtling wird. Als Kurde aus Syrien wollte ich etwas über mein Land erzählen.
In der Ausstellung will ich auch zeigen, dass jeder von uns zum Flüchtling werden kann. Wenn ich eine Rolex oder ein grosses Auto habe, heisst das nicht, dass ich nicht einmal Flüchtling werde. Auch in der Schweiz.
Es muss nur einen Erdrutsch, eine Atomkatastrophe oder eine Lawine geben und schon sind wir auf die Hilfe anderer Menschen angewiesen. Auch in Aleppo sind manche Leute Rolls-Royce gefahren.
Wie nehmen die Menschen hier die Flüchtlinge wahr?
Man schaut die Flüchtlinge immer als Zahl an und denkt nicht, dass dies Menschen mit einer Seele und aus Fleisch und Blut sind. Sie sind stets eine Last. Und ein Flüchtling versteht das: Ich bekomme nur etwas Kleines, weil der andere solidarisch ist, weil er barmherzig ist mit mir. Das versteht der Flüchtling. Er weiss, dass es so ist.
Was ist Ihre Botschaft?
Auch wenn es Grenzen gibt: Es ist eine Welt. Und auf dieser existieren verschiedene Sprachen und Religionen. Wenn etwas weit entfernt von der Schweiz passiert, dann ist das auch unser Problem.
Es muss nur einen Erdrutsch geben und schon ist der Schweizer auf die Hilfe anderer angewiesen
Vor sechs Jahren, als in Syrien der Bürgerkrieg begann, wusste ich, dass die Probleme auch hierher kommen werden, wenn niemand eingreift. Und tatsächlich: in der Schweiz gibt es Tausende syrische Flüchtlinge, in Deutschland Hunderttausende. Es ist also auch unser Problem.
Sie waren vor 20 Jahren im Flüchtlingsheim im Tessin. Wie haben Sie sich dort gefühlt?
Man bekommt ein Metallbett und ist mit 40 anderen Menschen im gleichen Raum. Das bekommen alle, egal ob sie Minister oder Kleinkriminelle waren, Richter oder Filmemacher. Man nimmt Flüchtlinge eben als Zahlen wahr und denkt: je weniger, desto besser.
Und wenn jemand denkt, die kommen und leben in Palästen oder Villas: Das tun sie nicht. Im Flüchtlingsheim zu sein, ist nicht einfach. Nachdem ich drei Jahre da war, hatte ich wahnsinnig viele graue Haare.
Was trägt die Ausstellung «Flucht» zur Wahrnehmung bei?
Viele Menschen haben keinen Einblick, wie das System funktioniert. Sie sehen nur die Flüchtlinge auf der Strasse, aber wissen nicht, wie diese Menschen leben. Welche Schwierigkeiten sie hatten, bis sie hier ankamen. Wie viele unterwegs gestorben sind. Und wie sie hier in der Schweiz leben. Darum sage ich: Leute, kommt und schaut – so sieht die Realität eines Flüchtlings aus.
Das Gespräch führte Markus Tischer.
Sendung: SRF 1, Kulturplatz, 29.03.2017, 22.25 Uhr