1917. Februarrevolution in Russland. Der Zar dankt ab. Wladimir Iljitsch Lenin befindet sich in Zürich, will nun aber unbedingt nach Russland. In einem plombierten Wagen fährt er durch Deutschland nach Petrograd.
Organisiert hat diese Fahrt Fritz Platten. Bei einem Attentat auf Lenin im Januar 1918 soll Fritz Platten verletzt worden sein, weil er sich schützend vor den Revolutionsführer gestellt haben soll.
Er spielte gern Karten
«Die Geschichte von Fritz Platten erzählt eine Schweizer Kommunismus-Geschichte und wie die Schweiz mit linkem Gedankengut umgegangen ist und immer noch umgeht», sagt die Historikerin Rhea Rieben von der Universität Basel. Sie hat sich eingehend mit dem Leben Plattens befasst und dazu 2021 eine Ausstellung kuratiert.
Platten – ein Vertrauter, gar ein Freund Lenins? «Das ist wohl eher ein Mythos», meint Rhea Rieben. Lenin selbst soll über Platten gesagt haben, dieser sei zwar ein ehrlicher Revolutionär, ein guter Redner, aber er arbeite viel zu wenig und spiele zu oft Karten. Den Mythos des Lenin-Vertrauten habe sich Platten wohl vor allem selbst zugeschrieben.
Selbst Linke sehen ihn zwiespältig
1923 verlässt Fritz Platten die Schweiz und wandert in die Sowjetunion aus. Politisch spielt er dort aber keine Rolle. Nach Lenins Tod bekennt er sich zu Stalin. Trotzdem fällt er schliesslich 1942 einer Säuberungswelle zum Opfer.
Die politische Linke in der Schweiz hat ein wechselvolles Verhältnis zu Fritz Platten: Vielen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war er zu radikal. Die Kommunistische Partei der Schweiz (KPS) sah in ihm jedoch einen Helden, zumindest so lange, bis er Stalins Säuberungen zum Opfer fiel.
Feindbild der Freisinnigen
Nach dem Tod Stalins wird Platten 1956 rehabilitiert. Die PDA, die Nachfolgerin der KPS, sieht in ihm wieder einen Helden. Die politische Rechte in der Schweiz hingegen hat in Fritz Platten seit je den «roten Teufel» gesehen, den Mann, der den Schrecken des bolschewistischen Sozialismus über die Schweiz bringen will. Das zeigt ein Flugblatt der Freisinnigen Partei von 1919.
Diese Botschaft sei zur Grundlage für den Antikommunismus in der Schweiz während des gesamten 20. Jahrhunderts geworden, betont Rhea Rieben. Die Argumentationslinie halte sich bis heute.
Antikommunismus noch heute spürbar
Die Reaktionen auf die Ausstellung über Fritz Platten seien grossmehrheitlich positiv gewesen, Kritikerinnen und Kritiker sagten aber: «Aha, die Universität Basel windet da einem Sowjetfanatiker ein goldenes Kränzchen, und das mit öffentlichen Geldern.»
Das zeige, dass der Antikommunismus in der Schweiz historisch nie aufgearbeitet worden sei, sagt Rhea Rhieben.
Das hat auch Bettina Kleiner-Weibel gespürt, pensionierte Lehrerin, Erwachsenenbildnerin und Grossnichte Fritz Plattens. Getroffen hat sie ihren Grossonkel nie, aber Thema sei er in der Familie immer gewesen: «Meine Mutter war stolz auf ihren Onkel, und damit waren auch die sozialdemokratischen und kommunistischen Ideen immer präsent in unserer Familie.»
Sie selbst sei wohl auch wegen Fritz schon in jungen Jahren der SP beigetreten, erzählt Bettina Kleiner-Weibel. Trotzdem habe sie ein zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Grossonkel: «Er war sehr überzeugt von dem, was er tat. Das hat mich fasziniert. Aber dass er so ideologisch war, konnte ich nie wirklich nachvollziehen.»