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Künstler in Hongkong «Die Angst darf die Freiheit nicht dominieren»

Wie frei ist die Kunst noch in Hongkong? Ein Galerist räumt seinen Ausstellungsraum und erzählt.

Kartonschachteln stehen auf dem Boden, daneben stapeln sich Bilder. Mitten im Raum sitzt Sanmu, Mitte fünfzig, seit drei Jahren führt er die kleine Galerie in einem Arbeiterviertel in Kowloon.

Heute ist der letzte Tag der Ausstellung. Morgen früh muss die Galerie geräumt sein. Der offizielle Grund: Sanmu fehlt die entsprechende Betriebsbewilligung.

«Wir waren überrascht», sagt Sanmu. «Hongkonger Medien haben später recherchiert, dass viele Galerien und sogar Museen auch keine entsprechende Bewilligung besitzen. Und doch werden sie deswegen nicht behelligt.»

Raum für Kritik

Wegen der fehlenden Bewilligung hat ihm die Kulturbehörde der Stadt auch noch die finanzielle Unterstützung gestrichen, mit der Sanmu seinen Lebensunterhalt bestreitet. Die Behörden hätten ihm mitgeteilt, die Entscheidung habe mit Politik nichts zu tun. Das, obwohl Sanmu vor allem regierungskritische Kunst ausstellt.

«Wir beschäftigen uns immer wieder mit politisch heiklen Themen», sagt Sanmu. «Etwa Ausstellungen zu Menschenrechtsanwälten in China. Themen, die man in China nicht diskutieren kann. Deshalb ist es so wichtig, ihnen hier Raum zu geben.»

So drehte sich Sanmus letzte Ausstellung um das Tiananmen-Massaker, daran erinnern die vielen kleinen Figürchen des «Tank Man», die an der Wand kleben. Der «Tank Man» war jener Mann, der sich vor dreissig Jahren vor die rollenden Panzer gestellt hatte.

Eine weisse Wand: der Tank Man pinnt darauf.
Legende: Bei der Ausstellung über das Tiananmen-Massaker darf der «Tank Man» nicht fehlen. SRF / Martin Aldrovandi

Sanmu stammt selbst vom chinesischen Festland und erlebt die zunehmende Abneigung vieler Hongkonger gegenüber allem Chinesischem selbst mit. Was ihn zum Teil schmerzt.

Kultur, die unterdrückt

«Nehmen wir das Projekt mit Künstlern auf beiden Seiten der Grenze des Perlflussdeltas: Da ging es um Bettler und wie Künstler zusammen mit ihnen lebten, sie mit Medikamenten und Kleidung versorgten. Da fragten mich Besucher in der Galerie, ob wir nur chinesische Kunst hätten», erzählt Sanmu.

«Ich sagte, auch Hongkonger Künstler hätten sich daran beteiligt. Sie schauten dann nur diese an, und gingen wieder. Für die chinesischen Künstler interessierten sie sich überhaupt nicht.»

Den Hongkongern macht er deshalb aber keinen Vorwurf. Sanmu hat Verständnis.

«Sie spüren diese mächtige chinesische Kultur, die sie unterdrückt. In allen Bereichen, auch in der Politik, in der Wirtschaft erleben sie die chinesische Übermacht», sagt er. «Und die Hongkongerinnen und Hongkonger dürfen ja noch nicht einmal ihre Regierung selbst wählen.»

Ein Mann steht in einem Raum. Es stehen Kisten und Müllsäcke herum.
Legende: Die Galerie räumt er, der Angst will er keinen Raum geben: der Galerist Sanmu. SRF / Martin Aldrovandi

So engagierte sich Sanmu zusammen mit Künstlerinnen und Künstlern auch bei den aktuellen Protesten in Hongkong. Gewährte Demonstrantinnen und Demonstranten sogar in der Galerie Unterschlupf, als diese vor der Polizei flohen.

Auch vor direkter Kritik an der aktuellen Führung in Peking schreckt Sanmu nicht zurück. Draussen hatte er ein Leuchtschild anfertigen lassen. Darauf steht der Propaganda-Slogan «Der chinesische Traum.» Rosarot und leuchtend erinnert der Slogan von Präsident Xi Jinping wie eine Werbung für ein Bordell.

Angst versus Freiheit

Hat er keine Angst? Schliesslich ist er chinesischer Staatsbürger. Sanmu überlegt. «Ich mache mir schon Sorgen. Aber ich kann deswegen nicht einfach aufhören. Die Angst darf die Freiheit nicht dominieren.»

Morgen schliesst Sanmus Galerie. Einen neuen Ort habe er noch nicht gefunden. Mitten im kleinen Raum steht ein grosser schwarzer Abfallsack. Und was passiert mit den Werken, die noch hier herumstehen?

«Die müssen wir wegschmeissen», sagt er. Und fügt lachend hinzu: «Oder möchtest Du etwas mitnehmen? Ich gebe es Dir.»

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