SRF: Bis anhin hat sich die «Neue Zürcher Zeitung» (NZZ) festangestellte Kulturkorrespondenten geleistet. Andrea Köhler berichtet aus den USA, Marc Zitzmann aus Frankreich und Joachim Güntner aus Deutschland. Warum bauen Sie diese Stellen ab?
Eric Gujer: Wir betreiben keinen Abbau. Im Gegenteil, wir bauen eher aus. In London ändert sich gar nichts. In Paris gibt es eine Änderung; die ist allerdings noch nicht ganz spruchreif.
In den USA verschieben wir einen Posten von der Ostküste an die Westküste. Es war eine allgemeine Erkenntnis nach der Wahl von Trump, dass sich der Journalismus zu sehr auf die Ostküste fokussiert hat. Und in Berlin bauen wir nicht ab, nein, wir bauen um drei Stellen aus.
Ich mache keine Unterscheidung zwischen Polit- und anderen Journalisten.
Mit Ihrem Berliner Büro strecken Sie die Fühler nach Deutschland aus. Neu wird ein E-Paper für Deutschland und auch ein Deutschland-Newsletter mit dem Titel «Der andere Blick» lanciert. Das heisst, Sie investieren, aber vor allem in die politische Berichterstattung über Deutschland. Sollen in Zukunft die Berliner Politjournalisten auch fürs Feuilleton schreiben?
Ich mache keine Unterscheidung zwischen Polit- und anderen Journalisten. Wir haben sehr gute neue Leute, die gerne auch fürs Feuilleton schreiben.
Der Redaktionsleiter des neuen Büros in Berlin, Marc Felix Serrao, wird am Samstag den Aufmacher im Feuilleton schreiben. Man kann also überhaupt nicht sagen, dass wir auf Kosten der Kultur sparen.
Was man aber durchaus sagen kann: Die festangestellten Kulturkorrespondenten waren bis anhin ein Alleinstellungsmerkmal des Feuilletons der NZZ. Warum verzichten Sie auf diesen Trumpf?
Wir verzichten nicht auf den Trumpf unserer Kulturberichterstattung. Ganz im Gegenteil: Die Kollegen in Berlin schreiben selbstverständlich auch für das Feuilleton. Da wird überhaupt nichts eingespart. Wir erhoffen uns aus Berlin sogar mehr Kulturberichterstattung als bisher.
Und wenn Sie den Umfang des Feuilletons anschauen: Heute hat das Feuilleton sechs Seiten. Das sind mehr als im Auslandteil. Von einem Abbau kann überhaupt nicht die Rede sein, es ist ein Ausbau.
Eine so breite Kulturberichterstattung wie wir macht niemand in der Schweiz.
Sie verlieren Ende Oktober auf einen Schlag drei Koryphäen. Glauben Sie wirklich, dass Sie die ersetzen können?
Wir haben zum Beispiel auch Martin Meyer infolge seiner Pensionierung verloren, eine wirkliche Koryphäe. Das Feuilleton der NZZ wurde dadurch nicht schlechter. Im Gegenteil: Bei Leserbefragungen, die wir regelmässig durchführen, schneidet unser Feuilleton in letzter Zeit besser ab.
Es geht nicht um einzelne Personen, es geht um die Qualität der Kulturberichterstattung in der NZZ. Und ich glaube, eine so breite Kulturberichterstattung wie wir macht niemand in der ganzen Schweiz.
Von verschiedener Seite wird moniert, dass das Feuilleton der NZZ unter René Scheu nach rechts gerutscht sei. Wie wichtig ist Ihnen als Chefredaktor die verstärkt politische Ausrichtung des Feuilletons?
Ich kann nicht sehen, dass das Feuilleton nach rechts gerutscht ist. Wir haben Autoren wie Slavoj Žižek, den bekannten Philosophen, der von sich selber sagt, er sei überzeugter Kommunist. Nun werden Sie nicht behaupten wollen, dass die NZZ besonders kommunistisch ist.
Nein, unser Feuilleton möchte ein Ort für neugierige und spannende Debatten sein. Und Debatten kann man nur führen, wenn nicht alle einer Meinung sind.
Das Gespräch führte Sandra Leis.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.08.2017, 6:50 Uhr