«Vielfach schlug man den Skulpturen Glieder, Kopf oder Nase ab, oder man stach auf den Gemälden die Augen aus», schreibt Hermann Parzinger in seinem neuen Buch «Verdammt und vernichtet». Skulpturen konnten zur völligen Entweihung auch in Latrinen, Strassenrinnen, Sauställen oder auf Abfallhaufen landen.
Es sind nicht die von islamistischen Extremisten in den vergangenen zwei Jahrzehnten begangenen Exzesse, die der Archäologe in dieser Passage seines Werks schildert. Hier geht es um Gewaltakte der Bilderstürmer während der Reformation im 16. Jahrhundert – in der Schweiz und anderswo.
Vom Alten Ägypten bis zu den IS-Extremisten
In seinem kenntnisreichen Sachbuch zeigt Hermann Parzinger auf, dass nicht nur zwischen den Schandtaten von IS-Extremisten und Anhängern der Reformation erschreckende Parallelen bestanden. Sondern dass Kulturzerstörungen schon immer einer ähnlichen menschen- und kulturverachtenden Logik folgten.
Parzinger ist Präsident der «Stiftung Preussischer Kulturbesitz», zu der unter anderem die 15 staatlichen Museen in Berlin gehören. In «Verdammt und vernichtet» zeichnet er Kulturzerstörungen über drei Jahrtausende Menschheitsgeschichte nach.
Gewalt gegen Bauwerke, Bilder, Kunstwerke, Statuen, Denkmäler: Parzinger spannt den Bogen vom Alten Ägypten, über das mittelalterliche Byzanz, den Kolonialismus, die französische und die russische Revolution bis zu Stalin und Hitler und den IS-Extremisten in der jüngeren Vergangenheit.
Ins Mark des Feindes
Es gelte im Einzelfall die speziellen historischen Bedingungen der Zerstörungen zu berücksichtigen, sagt Hermann Parzinger. Aber es gebe auffällig viele Gemeinsamkeiten.
«Kulturgüter geraten deshalb immer wieder ins Visier, weil von ihnen damals wie heute eine grosse Kraft ausgeht für die menschliche Identität.» Anders gesagt: Wer die Kulturgüter des Feindes verdammt und zerstört, trifft diesen im Mark. Wichtige Bezugspunkte der Identität gehen verloren.
Bei Kulturzerstörungen waren laut Parzinger aber immer auch finanzielle Interessen im Spiel. So sei es etwa bei der Reformation zwar zweifelsohne um den Kampf gegen den Ablasshandel gegangen. Aber eben nicht nur.
Die Gier nach Reichtum
Die Bilderstürmer hätten sich zunehmend darum bemüht, die Kunstschätze unversehrt aus den Kirchen zu tragen, um sie anschliessend zu verkaufen. In der Folge hätte dies zu einer massiven Umverteilung der Besitzverhältnisse in der damaligen Gesellschaft geführt.
Parzinger schildert, wie die Gier nach Reichtum bereits die Römer angetrieben hatte, als sie den Tempel in Jerusalem zerstörten. Oder die Nazis, welche die angeblich «entartete Kunst» diffamierten, sie jedoch im grossen Stil verkauften, um die Kriegsmaschinerie zu finanzieren.
Ähnlich die Taliban in Afghanistan: Sie sprengten öffentlichkeitswirksam Buddha-Statuen, machten im Geheimen jedoch viele verfemte Kulturschätze zu Geld.
Zertrümmern oder behalten?
Ist es grundsätzlich falsch, Bilder zu stürmen? «Natürlich mussten die Nazi-Symbole nach dem Zweiten Weltkrieg weg», findet Hermann Parzinger. Nur: Meistens sei es besser, Symbole der Unterdrückung – wie etwa aktuell Statuen von Kolonialisten – nicht einfach zu zertrümmern.
In freiheitlich-demokratischen Gesellschaften sei der «Schutz von Kunst und Kultur ebenso wie wie Freiheit und Schutz der Meinung nicht verhandelbar», so Parzinger. Ansonsten unterwerfe man sich «dem Diktat von radikalen politischen, religiösen oder gesellschaftlichen Gruppen».
Es gelte, eine breite Diskussion über beanstandete Kulturgüter zu führen. Und sie gegebenenfalls aus dem öffentlichen Raum zu entfernen und einzulagern. Und sie zu bewahren als Zeugen einer Vergangenheit, die – auch wenn sie schmerzt oder Wut auslöst – Teil der Geschichte ist und damit der eigenen Identität.