Flughäfen sind die neue Heimat des 41-jährigen Polit-Aktivisten. Tatsächlich, in Belgrad spielt der ehemalige Rebell keine Rolle mehr. Er wirkt nun auf dem internationalen Parkett.
Nach dem Sturz des Milosevic-Regimes sind etliche «Otpor»-Aktivisten in die Politik gegangen. Sie wurden Minister, Staatsekretäre oder Direktoren von Staatsbetrieben. Srdja Popovic war Parlamentarier und Berater von Ministern. «Otpor» ist zerfallen, die Bewegung hatte ihren Zweck erfüllt. Die neue Regierung von Ministerpräsident Zoran Djindjic versprach Reformen, Demokratie und ein besseres Leben. Die Erwartungen waren zu hoch, sollte sich später zeigen.
Strategien für den Umsturz
Ihre Erfahrungen mit gewaltloser Rebellion retteten Srdjan Popovic und Slobodan Djinovic jedoch in die Gegenwart. 2004 gründeten sie in Belgrad das Zentrum für gewaltlose Aktion und Strategien CANVAS, eine Non-Profit-Organisation. Sie publizierten das Handbuch «Gewaltfreier Kampf in 50 Punkten», das mehrfach übersetzt und von Aktivisten in aller Welt tausendfach heruntergeladen wurde.
CANVAS bietet weltweit Kurse an in gewaltlosen Aktionen und Strategien für den Umsturz autoritärer Regime. Zu den Kunden zählen jedoch auch Universitäten und internationale Organisationen. In 46 Staaten seien sie bisher tätig gewesen, auch in Simbabwe, Burma, Iran und Venezuela, ist auf der Homepage von CANVAS zu lesen.
Veränderungen in Serbien
Während der charismatische Kommunikator Srdja Popovic zu Workshops und Konferenzsälen in aller Welt unterwegs ist, hat sich in Serbien das politische Blatt gewendet.
Bereits 2003 wurde Ministerpräsident Zoran Djindjic ermordet. Der Tod des Hoffnungsträgers knickte auch die Hoffnungen Hunderttausender, die noch kurz zuvor gewaltlos und hartnäckig gegen das Milosevic-Regime gekämpft hatten. Die Mörder, ehemalige Sonderpolizisten, wurden verurteilt. Die Auftraggeber blieben unerkannt. Der Djindjic-Mord gilt als Beweis dafür, dass die Milosevic-Clique immer noch am Werk ist.
Aktivisten wurden selber korrupt
Die regierenden Demokraten mitsamt den ehemaligen «Otpor»-Aktivisten in ihren Reihen wollten von der Macht nicht mehr lassen, wurden selber korrupt. Der Sündenfall kam 2008: Um an der Regierung zu bleiben, schlossen sie eine Regierungskoalition mit den geächteten Milosevic-Sozialisten und machten diese wieder salonfähig.
Viele ehemalige gewaltlose Rebellen und Wähler der Demokraten wandten sich angewidert ab, gingen nicht mehr an die Urnen. Die «Otpor»-Graffitis sind längst verblasst. Die «Otpor»-Faust ist eine melancholische Erinnerung, bestenfalls noch ein Polit-Souvenir als Sticker am häuslichen Kühlschrank. Die heutigen Fünfzehnjährigen Serbiens wissen nicht mehr, was «Otpor» war, oder vermuten ein Putzmittel.
An der Regierung ist wieder das Milosevic-Personal der 1990er-Jahre, damals verspottet von den «Otpor»-Aktivisten. Der politische Umgangston ist rüde wie damals, Beschimpfungen im Parlament sind üblich, die Selbstanmassung der Regierungspolitiker grenzenlos.
Keine Spur mehr von einer Bewegung
Zwar ist Serbien nun ein EU-Beitrittskandidat, der Alltag ist aber immer noch ein Überlebenskampf. Ab und zu gibt es Proteste einzelner Interessengruppen: Bauern blockieren Strassen für mehr Subventionen und Arbeiter bankrotter Firmen sperren Eisenbahnlinien für ihren Lohn. Die einzige ernsthafte Herausforderung für die Regierung waren die serbischen Rechtsanwälte: Mit einem vier Monate langen Streik gegen eine neues Gesetz, das sie im Wettbewerb mit neu eingeführten Notaren benachteiligt hätte, legten sie das serbische Justizwesen lahm – und waren siegreich.
Von einer Bewegung ist aber keine Spur. Denn Serbiens Protestpotenzial ist aufgebraucht. Srdja Popovic und seine Lehre vom gewaltlosen Widerstand machen in Serbien zur Zeit keinen Sinn, da niemandem nach Widerstand zumute ist. Die nationalpopulistische Welle hat jeden politischen Widerstand weggeschwemmt und die Mehrheit der serbischen Bevölkerung setzt ihre Hoffnungen wieder auf einen starken Mann.