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Corrado Pardini als Statist. Er hat eine Glocke in der Hand.
Legende: Der Dreh hat ihm nicht den Gong gegeben – im Gegenteil: Corrado Pardini als Nationalratspräsident. SRF/Severin Nowacki

Landesstreik von 1918 «Streiks gehören zur Schweizer Kultur»

In der Doku-Fiktion «Generalstreik 1918» wirkt der SP-Nationalrat und Gewerkschafter Corrado Pardini als Statist mit. Im Interview erzählt er, wie der Generalstreik die moderne Schweiz von heute prägte – und warum Streiks durchaus schweizerisch sind.

SRF: Sie waren Statist in der Doku-Fiktion «Generalstreik 1918 – die Schweiz am Rande des Bürgerkriegs» – als Parlamentspräsident. Wären Sie lieber in Echt dabei gewesen und hätten mitgemischt?

Corrado Pardini: Der Generalstreik war sozialpolitisch das bedeutendste Ereignis der Schweizer Geschichte der Neuzeit. Klar wäre ich gerne dabei gewesen und hätte den Moment miterlebt.

Es war aber spannend, hinter die Kulissen einer Filmproduktion zu schauen und die Arbeit der Filmemacher – von der Garderobe, über die Schauspieler bis hin zum Regisseur – live zu erleben. Das war aufregend.

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Legende: SRF / /Severin Nowacki

100 Jahre nach den Ereignissen, welche die Schweiz 1918 erschütterten, realisiert SRF eine Doku-Fiktion, die Ursachen, und Folgen der gesellschaftspolitischen Krise behandelt. In den Hauptrollen der fiktionalen Szenen sind Schauspieler zu sehen, in Nebenrollen treten Bundesparlamentarier auf.

SRF 1, Donnerstag, 8. Februar 2018, 20:05 Uhr

Weshalb war denn dieser Streik so wichtig?

Er ist eine Zäsur in der Schweizer Geschichte. Viele Elemente unserer modernen Gesellschaft, die wir heute als selbstverständlich erachten, haben ihren Ursprung in den Forderungen des Generalstreiks: die AHV, das Frauenstimmrecht, das Proporzwahlsystem. Der Generalstreik hat Tür und Tor geöffnet für die soziale, moderne Schweiz von heute.

Sie sind SP-Politiker und Mitglied der Unia. Damit sind Sie sozusagen ein «Erbe» der damaligen Gewerkschafter. Wo findet sich der Generalstreik in ihrem politischen Schaffen wieder?

Als politisch interessierter Mensch habe ich vom Generalstreik sehr früh erfahren. Leider verkennt die offizielle Schweiz den Generalstreik aber. In den Geschichtsbüchern kommt er kaum vor. In der Schule wird einem eher etwas über Wilhelm Tell beigebracht als über den Generalstreik.

Am Beispiel des Generalstreiks merkte ich früh, dass es keine objektive Geschichtsschreibung gibt. Sie ist immer auch politisch.

Warum hat denn der Generalstreik kaum Platz im Geschichtsunterricht?

In der Schweiz ist der Mythos entstanden, dass der Streik verboten ist. Was nicht stimmt: Der Streik ist ein verfassungsmässiges Recht. Er wird aber von den Schweizern als etwas Schlimmes, etwas Unschweizerisches betrachtet. Er wurde jahrzehntelang totgeschwiegen, schlecht geredet und kriminalisiert, um die Arbeiter gefügig zu machen.

Deshalb ist es wichtig, dass man den Generalstreik thematisiert und den Leuten erklärt, dass Streiks durchaus zur Schweizer Kultur gehören.

Der Streik gehört zur Schweiz. Es ist ein wichtiges Instrument der Arbeitnehmer.

In der Schweiz wird doch aber kaum gestreikt – etwa im Vergleich zu Frankreich.

In der Schweiz gibt es durchaus Streiks. Auch in letzter Zeit wieder – in einigen Unternehmen in der Westschweiz oder beispielsweise der Streik der SDA-Mitarbeiter. Streik gehört zur Schweiz. Es ist ein wichtiges Instrument der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Werner Salzmann, Eric Nussbaumer und Corrado Pardini in Parlamentssaal.
Legende: Drei Nationalräte als Statisten: Werner Salzmann, Eric Nussbaumer und Corrado Pardini (v.l.n.r.) SRF/Severin Nowacki

Die Schweiz ist doch aber das Land des sozialen Friedens. Das heisst: Es wird am Tisch verhandelt und nicht gestreikt. Und das wird ja auch als Rezept für den Wohlstand, für die soziale Sicherheit betrachtet.

Streiks sind das Mittel zum Zweck, nicht das Ziel. Zum Streik ruft man auf, um als letztes Mittel gewissen Forderungen durchzusetzen. Solange die Verhandlungen am Tisch sich fair und gesittet entwickeln, streikt niemand.

Es ist aber so, dass die Arbeitgeber diese sozialen Frieden in der letzten Zeit zum Teil gekündigt haben. Sie stellen die Gewerkschaften in Frage – wie letzte Woche beispielsweise die SVP.

Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, dass die Armee gegen streikenden Mitarbeiter schiessen würde – zum Glück.

Der soziale Friede ist nicht gottgegeben. Der soziale Friede hat einen Preis. Mir ist es lieber, am Tisch zu verhandeln als auf die Barrikaden zu steigen. Der Ton bei den Arbeitgebern hat sich jedoch verschärft.

Für den sozialen Frieden braucht es beidseitig den Willen, eine Lösung zu suchen. Findet man keinen Kompromiss, muss man die Arbeitnehmer mit Streiks an den Verhandlungstisch zwingen.

Wenn Sie noch einmal auf früher, auf 1918, blicken: Wie hat sich denn die Streikkultur in den letzten 100 Jahren verändert?

Vor 100 Jahren hatte man es mit anderen Arbeitgebern zu tun. Die Internationalisierung, die Globalisierung der Unternehmen war noch nicht so fortgeschritten. Heute ist es komplizierter, Arbeitskämpfe zu führen. Das Grundprinzip – dass es einen Verteilungskampf gibt – ist aber nach wie vor vorhanden.

Die Mittel und die Umstände sind im Vergleich zu damals natürlich völlig anders. Ich könnte mir nicht mehr vorstellen, dass die Armee gegen streikenden Mitarbeiter schiessen würde – zum Glück.

Damit jedoch 250'000 Menschen Widerstand leisten, müssten sich natürlich auch die sozialen Konflikte zuspitzen. Damals, zur Zeit des Generalstreiks, gab es Hungersnöte und Armut. Die Situation war damals für viele Menschen sehr prekär.

Das Gespräch führte Danja Nüesch.

Zur Person

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Legende: Keystone

Corrado Pardini, geboren 1965 in Bern, ist seit 2011 SP-Nationalrat. Er ist zudem Mitglied der Unia-Geschäftsleitung und Sektorleiter Industrie.

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