Sandro Schneebeli ist viel unterwegs: Er ist Gitarrist, Komponist und Produzent – und im In- und Ausland in verschiedensten Projekten engagiert. Das wichtigste ist seine Weltmusik-Band Scala Nobile. Darin hat er Musikerfreunde aus dem Tessin, aus Italien, Brasilien und der Deutschschweiz versammelt. Viele seiner weitgestreuten Kontakte stammen aus den Jahren seines Musikstudiums an der Swiss Jazz School in Bern.
Die befremdliche Begegnung mit den «Grüezi-Touristen»
Er erinnert sich gut an seine Kindheit im Tessin, als er sich noch über diese Deutschschweizer ärgerte, die stur jedes Mal mit «Grüezi» antworteten, wenn er ihnen ein fröhliches «Buongiorno» entgegenrief. «Das war nicht gerade sympathisch, sie hätten doch italienisch antworten und wenigstens ‹ciao› oder ‹salve› sagen können – aber eben, ‹zücchin› halt, dachten wir.»
Doch als der jugendliche Hobbygitarrist beschloss, eine professionelle Musikerkarriere einzuschlagen, riet ihm sein Vater ausgerechnet, in die Deutschschweiz zu gehen. Nach Bern, an die Swiss Jazz School, damals die einzige Jazzschule in ganz Europa.
Von der Sonnenstube ins kalte Wasser
Sein Vater war als junger Mann aus dem Norden ins Tessin migriert, doch bei Schneebelis zuhause wurde strikt italienisch gesprochen. Nur bei gelegentlichen Familienbesuchen und bei ein paar Ferienaufenthalten auf einem Berner Bauernhof hatte der junge Sandro das seltsame Schweizerdeutsch zu hören bekommen. Doch die Ausbildung war ihm wichtig, also stürzte er sich nach dem Gymnasium ins kalte Wasser, zog nach Bern, begann die Jazzschule und kellnerte gleichzeitig, um sich die Studiengebühren zu verdienen.
Besonders die Arbeit im Restaurant zwang ihn, schnell Schweizerdeutsch zu lernen. Die Integration verlief anfangs harzig, er erlebte die Deutschschweizer meist als zurückhaltend. Mit der Zeit jedoch fand er neue Kontakte und knüpfte erste Freundschaften. Dabei half ihm ausgerechnet das Klischee des aufgestellten Tessiners: «Sobald sie merkten, dass ich aus dem Tessin stamme, reagierten sie begeistert und meinten, ‹ah, aus der Sonnenstube›, das wirkte dann fast wie eine Visitenkarte.»
Die Entdeckung der Offenheit
Im Kontakt mit der Musikerszene rund um die Jazzschule machte er schliesslich eine für ihn überraschende Entdeckung: «Ich habe irgendwann gemerkt, dass die Deutschschweizer kulturell viel offener sind als die Tessiner, die sind ‹un po quadrati›, kleinkariert. Gerade in der Musik, da ist man in der Deutschschweiz viel neugieriger auf Neues und Experimentelles. Im Tessin dauert das alles immer länger.» Eine unerwartete Meinung, aus dem Munde eines Tessiners.
Wie so oft vermögen intensive persönliche Erfahrungen vorgefasste Ansichten aufzubrechen und ermöglichen neue Entwicklungen. Schule und Ausbildung in einem anderssprachigen Landesteil sind für diese Art der Horizonterweiterung wie geschaffen, findet Sandro Schneebeli rückblickend. Gerade für Tessiner sei es wichtig, sich nicht nur nach Italien zu orientieren, sondern auch über den Gotthard hinweg in Richtung Norden.
Unterschiede als Ansporn zur Auseinandersetzung
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Zwar lebt Sandro Schneebeli heute wieder im Tessin, mit eigener Familie, doch seine musikalischen Unternehmungen führen ihn immer wieder in die deutsche Schweiz. Zum Beispiel für sein Projekt Di Vento Suoni: Im Duo mit dem Berner Alphorn- und Schwizerörgelimusiker Bruno Bieri erkundet der Tessiner Allround-Gitarrist die Schnittstellen zwischen jazziger und volkstümlicher Musiktradition.
Wenn Sandro Schneebeli heute kulturelle Unterschiede ortet, reagiert er nicht mehr mit Befremden, sondern mit Neugier, und er nimmt sie als Herausforderung für einen kreativen Umgang damit an.
Von der Italianità zur Svizzerità
Gegenüber Fremden gab sich Sandro früher als Italiener, nicht als Schweizer aus, weil das seiner Meinung nach zu sehr nach Berner Platte, Röschti und Schwyzerdütsch klang. Er fühlte sich mehr der Italianità verpflichtet, zumal eine seiner Grossmütter aus Sizilien stammte. Heute hat sich das geändert: Er bezeichnet sich als Svizzero, della Svizzera Italiana – für ihn die ideale Kombination vom Besten aus beiden Welten.