Bis 2025 werde es in der Schweiz bis zu 20 Prozent weniger Lehrstellen geben, prognostiziert der Bildungsökonom Stefan Wolter von der schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung.
Bereits für das laufende Jahr ist mit einem Rückgang von knapp vier Prozent der Lehrstellen zu rechnen. Wie aber sieht es in der Praxis aus? Wie haben diejenigen, die sich im Alltag um die Lehrlingsrekrutierung kümmern, auf die Corona-Krise reagiert?
Beispiel 1: Berufslernverbund Thal-Mittelland
Im Berufslernverbund Thal-Mitteland (siehe Textbox) sind normalerweise 30 Lehrstellen pro Jahr in technischen Berufen zu vergeben – Polymechaniker, Konstrukteurinnen, Automatiker, Logistiker und mehr. Mitte März waren 16 Verträge unter Dach und Fach.
Dann kam der Lockdown, und Schnupperlehren in den Betrieben – sozusagen das Herzstück der Rekrutierung – fielen von einem Tag auf den anderen weg. Geschäftsführerin Eva-Maria Stalder erzählt: «Wir sind quasi in eine Schockstarre gefallen, denn unsere Ausbildungsbetriebe haben über Nacht ihre Türen zugemacht; wir konnten also keine Abklärungen vor Ort mehr vornehmen.»
Zunächst wollte sich der Verbund mit den 16 abgeschlossenen Lehrverhältnissen zufriedengeben. «Doch dann hat uns der Ehrgeiz gepackt», so Eva-Maria Stalder, «und wir haben uns entschieden, unser Portfolio möglichst zu füllen.»
Das hiess, auf Bewährtes zu verzichten und sich auf unorthodoxe Wege einzulassen. Vorstellungsgespräche per FaceTime, dazu die Intuition: Dieser junge Mensch könnte passen. So gelang es dem Verbund, bis Mitte August zehn weitere Lehrstellen zu besetzen und an die Betriebe zu vermitteln.
Wie wissen die Ausbildner, welche Lehrstellensuchende sich für welche Berufe eignen? Eva-Maria Stalder sagt, sie verlasse sich auf ihr Bauchgefühl – das täusche sie in der Regel nicht.
Auf seine Erfahrung stützt sich auch Christian Bohner, der die Lehrwerkstatt des Berufslernverbundes leitet. Er sagt: «Wenn ich junge Menschen sehe, mit ihnen rede und interagiere, dann merke ich rasch, was in ihnen steckt.» So sei auf Anfang Schuljahr «ein sehr guter Lehrlingsjahrgang» zusammengekommen.
Beispiel 2: Restaurant «Löwen» in Messen, SO
Auch im Restaurant «Löwen» im solothurnischen Messen wird die Berufsbildung grossgeschrieben. Sieben Lehrlinge beschäftigt der traditionsreiche Familienbetrieb zurzeit – vier im Service, drei in der Küche. «Der Löwen ist als Lehrbetrieb sehr gefragt», sagt Wirt Sebastian Graber, «normalerweise sind die Stellen schon ein, manchmal zwei Jahre im Voraus besetzt.»
Doch während Corona war nichts normal. Das Restaurant musste schliessen, so wie alle Gastrobetriebe. Schnuppereinsätze, die bereits vereinbart waren, wurden abgesagt, in einem Fall mittendrin abgebrochen.
Damit das Geschäft nicht ganz zum Erliegen kam, richtete der Löwen vorübergehend einen Takeaway ein. An neue Lehrlinge dachte der junge Wirt in dieser Zeit kaum: «Wir sorgten uns erst einmal darum, unsere Liquidität, unsere Lebensgrundlage hier sicherzustellen», so Sebastian Graber. So kommt es, dass eine Lehrstelle als Koch im Löwen noch offen ist. Bis zu den Herbstferien hat Graber noch Zeit, sie zu besetzen.
Fazit: Für das eben angelaufene Schuljahr 20/21 ist der Lehrstellenmarkt mit einem blauen Auge davongekommen. Ob die pessimistischen Prognosen eintreffen werden, weiss man heute nicht.