Das Wichtigste in Kürze
- Rund 2200 Schweizer dienten zwischen 1946 und 1962 in der französischen Fremdenlegion. Sie kämpften im Indochina- und Algerienkrieg.
- Die meisten schlossen sich der Legion aus Not an: Sie waren arm, flohen aus Anstalten oder vor dem Gesetz.
- Im Krieg wurden viele Schweizer zu Tätern, aber auch zu Opfern. Hunderte Schweizer starben in den Kolonialkriegen.
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«Ich war enttäuscht über mich und die Welt. Ich wollte weg, ging nach Paris und weiter nach Marseille. Dort habe ich das Plakat der Legion gesehen. Mein Onkel war schon in der Legion gewesen und hatte mir davon erzählt. Da ging ich auch, habe mir aber die Konsequenzen nicht überlegt.»
So erinnert sich ein Berner Legionär 1995 in der Sendung «Quer» des Schweizer Fernsehens an seinen Einsatz in der französischen Fremdenlegion. Er ist einer von vielen Schweizern, die als Freiwillige für Frankreich in die Kolonialkriege nach Indochina (1946-1954) und nach Algerien (1954-1962) zogen.
Sie liessen sich in Marseille nach Nordafrika einschiffen. Im Zentrum der französischen Fremdenlegion in der algerischen Stadt Sidi bel Abbès bekamen sie ihren militärischen Schliff, bevor sie von dort nach Indochina oder in die nordafrikanische Wüste geschickt wurden.
Kofferträger und Kohlenschaufler
Rund 2200 junge Schweizer riskierten damals für Frankreich ihr Leben. Was sie dazu geführt hatte, schildert der Historiker Peter Huber von der Universität Basel in seinem Buch «Fluchtpunkt Fremdenlegion.»
Er hat die Lebensläufe von Rückkehrern untersucht, die sich vor der helvetischen Militärjustiz verantworten mussten. Vor Gericht mussten die Söldner ihr Vorleben ausbreiteten. Denn: Kriegsdienst für eine fremde Nation ist in der Schweiz seit 1928 verboten.
Der Historiker Peter Huber hat stapelweise Gerichtsakten durchforstet und weiss, welche Schweizer Männer sich in die Legion absetzten und ihrer Heimat den Rücken kehrten: Sie waren in der Regel zwischen 20 und 21 Jahre alt und gingen Tätigkeiten nach, die es heute nicht mehr gibt.
So tauchen in den Akten Bezeichnungen wie Kofferträger, Kohlenschaufler, Knecht, Pferdeputzer und Reisender für Staubsauger und Ansichtskarten auf.
«Die beste Armee der Welt»
Die helvetischen Legionäre hatten sich vor ihrem Aufbruch in die Fremde meist nur schlecht und recht über die Runden gebracht.
Nur gerade jeder Fünfte hatte eine Berufslehre im Sack: «Ich hätte gern etwas Rechtes gelernt und wäre gern in der Schweiz geblieben. Sie müssen sich vorstellen: Wenn ein so junger Bursche in die Legion geht und ein so schönes Land wie die Schweiz verlässt, um es einzutauschen gegen heissen Wüstensand, dann macht er das nicht umsonst», erklärte ein ehemaliger Legionär aus dem Thurgau 2002 im Schweizer Fernsehen.
Für manche ungelernte Arbeitskraft dürfte die Idee verlockend gewesen sein, im Ausland für fünf Jahre eine zugesicherte und bezahlte Anstellung zu finden. Zudem hatte die Fremdenlegion einen guten Ruf: Sie galt als Elitetruppe. Manche Söldner sprachen von der «besten Armee der Welt».
Die Legion schlug für sich selbst ganz schön die Werbetrommel. In der Grenzregion zur Schweiz betrieb sie Anlaufstellen, in denen sie Interessierte im Gespräch anwarb.
Ich war enttäuscht über mich und die Welt. Ich wollte weg.
Auch die Plakatpropaganda konnte sich sehen lassen: Da waren schneidige Burschen unter Kokospalmen abgebildet, flankiert von exotischen weiblichen Schönheiten. Oder stramme Kerle in schnittigen Uniformen, angelehnt an Wüstenjeeps, im Hintergrund Kamelkarawanen. Und nicht zu vergessen: angreifende Fallschirmjäger.
«Dummheit gemacht»
Die Legion – etwas für unerschrockene Kerle mit Flair für Abenteuer: Angesichts dieser attraktiven Bilder dürfte sich mancher junge Bursche der beruflich in Niederbipp, Hinteregg oder Unterentfelden nicht vom Fleck kam, wohl gefragt haben, was er in der Schweiz noch sucht. Umso mehr, als in den 1950er- und 1960er-Jahren mit den Italienern die Konkurrenz auf den Grossbaustellen von Staudämmen, Tunnels und Autobahnen immer grösser wurde.
Es gab auch andere Gründe, das Weite zu suchen: Jeder vierte Schweizer Legionär machte sich wegen eines laufenden Strafverfahrens aus dem Staub.
Eine Auflistung der Delikte dieser Männer lässt ihre Not erahnen: Der eine hatte Geld aus dem Stubenbuffet der Eltern entwendet, ein anderer ein Velo gestohlen, ein weiterer einen Kiosk aufgebrochen.
Sie waren als Schürzenjäger, als Hausierer ohne Patent oder als Landstreicher unterwegs gewesen, hatten hier eine Frau sitzen gelassen und dort den Unterhalt für ein Kind nicht bezahlt. Viele hatten, wie sie im Rückblick sagten, «eine Dummheit», «einen Blödsinn» gemacht.
Aus der Schweiz entfliehen
Armutsdelikte waren nicht der einzige Grund, weshalb die jungen Schweizer sich als Freiwillige der Auslandstruppe der französischen Armee anschlossen.
Viele von ihnen erlebten auch soziale Ausgrenzung: Vier von zehn Söldnern waren vor ihrem Aufbruch in einem Erziehungsheim «versorgt» gewesen oder «gebessert» worden.
Was manche Fremdenlegionäre nach ihrer Rückkehr in die Schweiz vor dem Militärgericht zu Protokoll gaben, liest sich denn auch als Geschichte einer Flucht vor heimischen Autoritäten und Institutionen: Die einen brachen aus einer «Arbeitserziehungsanstalt» aus. Die anderen flohen vor einem Vormund oder einem gewalttätigen Vater. Ein ehemaliger Fremdenlegionär gab vor Gericht an:
«Am 19. August 1944 entwich ich um 19 Uhr aus der Anstalt Tessenberg. Zahn Willy begleitete mich. Wir trugen unsere Anstaltskleider. Wir beabsichtigten, über die Grenze nach Frankreich zu gehen. Über das weitere Verhalten waren wir uns noch nicht im Klaren. Es war uns vor allem darum zu tun, aus der Schweiz zu entfliehen, damit man uns nicht wieder auf den Tessenberg bringen könnte.»
Untertauchen und verschwinden
Manchmal waren auch Abenteuerlust oder Liebeskummer Grund, die Schweiz zu verlassen. Der Aufbruch in die Legion war für viele junge Schweizer jedenfalls mit der Hoffnung verbunden, die Vergangenheit hinter sich zu lassen, ein neues Leben anzufangen und eine zweite Chance zu bekommen.
Wer sich für die Legion entschied, unterschrieb einen Vertrag für fünf Jahre. Er bekam einen Decknamen und damit eine neue Identität. Nun hörte er auf einen neuen, meist unauffälligen Namen wie Tellenbach, Linder oder Etienne. Der Legionär verschwand für die Angehörigen von der Bildfläche – und war dann mal weg.
Ein Motiv aber habe für den Aufbruch in Frankreichs Kolonialkriege völlig gefehlt, sagt der Historiker Peter Huber: «Bei den Fremdenlegionären spielten politische Überlegungen überhaupt nicht mit.» Dies im Gegensatz zu den Schweizer Freiwilligen, die im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) gegen das faschistische Regime von Francisco Franco kämpften.
Fahrende Bordelle
Viele der Schweizer Söldner traten ihre Dienste in Indochina und Algerien mit unklaren Vorstellungen an. Sie hätten nicht gewusst, was es bedeute, in einen Krieg zu ziehen, hält der Historiker Peter Huber fest. Er hatte Einblick in Briefe von jungen Männern, die noch eine Verbindung zu ihren Angehörigen zu Hause hatten.
Anfänglich schwärmten sie noch von Ananas und Kokosnuss. Und nicht zuletzt von den Frauen: Die Legion hielt die Soldaten mit fahrenden Bordellen bei Laune.
Die Kameraden erzählten mir dann in Sidi, wie es tatsächlich zu und her gehe, was sie mit den Arabern machten.
Im Dschungelkampf und im Wüstengefecht holte sie die Realität bald ein. So schrieb ein junger Mann nach Hause: «Es geht mir sonst ziemlich gut. Nur dass ich nicht geschaffen bin, Leute zu töten, die mir nichts getan haben.»
Ähnlich erging es einem anderen Söldner im Algerienkrieg: «Die Kameraden erzählten mir dann in Sidi, wie es tatsächlich zu und her gehe, was sie mit den Arabern machten, wie sie behandelt werden nach der Gefangennahme. Sie würden mit elektrischem Strom behandelt. Das nahm mir den Goût und die Freude.»
Töten und Foltern für Frankreich
Schweizer Söldner waren beim Töten und Foltern in Indochina und Algerien dabei. Dies drang im Gerichtssaal bei Prozessen Anfang der 1960er-Jahre durch, auch wenn es nicht das war, was die Richter in erster Linie wissen wollten.
Doch die Presse hörte genau hin, und als die Kriegsverbrechen der Legion in der Schweiz zum Thema wurden, kam es zu einer diplomatischen Verstimmung zwischen der Schweiz und Frankreich. Frankreich passte das nicht, denn auch im eigenen Land kam damals Kritik an den Kolonialkriegen auf.
Die Männer am Fortgehen hindern
Von der Militärjustiz wurde dagegen vor allem beanstandet, dass Schweizer Soldaten in einer fremden Armee gedient hatten. Bundesrat Paul Chaudet, der dem Eidgenössischen Militärdepartement vorstand, wollte diesen Abzug von Männern stoppen.
Er lancierte zusammen mit den kantonalen Erziehungsdirektoren eine Gegenpropaganda. Mit Flugblättern, die sie in Gewerbeschulen verteilen liessen, hofften sie, Jugendliche vor einem Aufbruch in die Fremdenlegion abzuhalten.
Die jungen Söldner, die ihrem Land den Rücken zugekehrt hatten, gehörten in Indochina und Algerien aber nicht nur zu den Tätern, sondern auch zu den Opfern. Mehrere hundert Schweizer Männer haben in den französischen Kolonialkriegen ihr Leben verloren.
Rückblickend muss ich sagen: Die Kolonialkriege waren nichts wert, sie waren einfach eine Sauerei.
Wer überlebte, liess sich nach der Rückkehr aus der Legion mit einer kleinen Rente in Südfrankreich nieder oder versuchte in der Schweiz einen Neuanfang.
«Eine Sauerei»
Auch nach dem Dienst in der Legion blieb die Vergangenheit präsent. Und mit zeitlicher Distanz wuchs die Kritik auch in den eigenen Reihen. So sagte ein ehemaliger Schweizer Söldner in einer Sendung des Schweizer Fernsehens 1997:
«Rückblickend muss ich sagen: Die Kolonialkriege waren nichts wert, sie waren einfach eine Sauerei. Aber man hatte sich für etwas engagiert. Und dann blieb man dabei. Entweder bis zum bitteren Ende, oder man kam davon.»