SRF: Wenn von Linksterrorismus die Rede ist, werden die Rote Armee Fraktion (RAF) in der Bundesrepublik Deutschland und die Roten Brigaden in Italien thematisiert. Auch in der Schweiz gab es eine linksterroristische Szene, die zwischen 1968 und 1983 aktiv war. Wie sah diese Szene aus?
Dominique Grisard: Diese Szene war kleiner und weniger radikal, und sie agierte weniger professionell. Einige der Terroristen waren schon erwischt worden, bevor sie ihre Tat ausführen konnten. Aber sie haben doch einige Militärdepots geplündert, haben illegal Waffen beschafft und diese an die RAF verkauft und auch Sprengstoffanschläge verübt.
Da war zum Beispiel die Gruppe «Bändlistrasse», die sich damals als «Schweizer RAF» bezeichnete. Diese Zelle flog auf, als sie kurz vor einem Überfall auf einen Geld-Transport stand und sich eines ihrer Mitglieder im Drogenrausch aus dem Fenster stürzte.
Es handelte sich bei dieser Gruppe um junge Schweizerinnen und Schweizer. Die Männer wurden in der Öffentlichkeit als «Halbstarke» bezeichnet, die Frauen als «ihre Freundinnen».
Welchen sozialen Hintergrund hatten die Mitglieder der «Bändlistrasse»?
Da waren einige darunter mit schwierigen Lebensgeschichten. Etwa solche, die einen Heimaufenthalt hinter sich hatten, sich bereits als Kleinkriminelle betätigt und Diebstähle verübt hatten.
Insgesamt hat es sich in der Schweiz um eine kleine terroristische Szene gehandelt. Das waren ein paar Dutzend Leute.
Gab es noch andere Gruppen?
Ja: Leute, die sich um die deutsch-italienische Linksterroristin Petra Krause gruppierten, nachdem diese in die Schweiz geflüchtet und hier untergetaucht war. Sie bekannten sich als Sympathisanten der RAF und solidarisierten sich mit den Opfern des Franco-Regimes in Spanien.
Diese Gruppe hatte bereits ein Attentat auf den Schah von Persien im Zürcher Hotel Dolder geplant, bevor sie sich Petra Krause anschloss. Die prominente Linksterroristin schürte in der Schweiz die Angst.
Insgesamt hat es sich in der Schweiz – im Vergleich zu Deutschland und Italien – um eine kleine terroristische Szene gehandelt. Das waren ein paar Dutzend Leute und ein paar hundert Sympathisanten.
Zu welchen terroristischen Akten kam es in der Schweiz?
Es gab eine Reihe von Bombenanschlägen, die aber oft missglückten. Einmal war die Hannover-Trust-Bank Ziel eines Anschlags der Gruppe um Petra Krause, die eine deutsche Bank schädigen wollte.
Getroffen wurde aber nicht eine deutsche Bank, sondern eine Amerikanische. Das war ein Versehen, weil sie sich falsch informiert hatte. Die Schweizer Terrorzelle ging sehr unbedarft vor – im Gegensatz zur RAF, die militärisch geführt wurde.
Wie wurde der inländische Linksterror in den Schweizer Medien erklärt?
Die ausländischen Frauen, die am Linksterrorismus in der Schweiz beteiligt waren, wurden in den Medien als «Anstifterinnen» und als «Verführerinnen» von jungen unbedarften Männern betrachtet, die «Pfadfinderlis» spielen wollten und keine ernst zu nehmenden Terroristen wären. Sie wurden oft als Anarchisten bezeichnet und nur manchmal als Terroristen.
Die Forderung nach der Einführung der Todesstrafe wurde laut.
Das heisst, man hat in der öffentlichen Wahrnehmung den Linksterrorismus von Schweizern eher kleingeredet?
Ja – und nicht nur in den Medien. So gibt es auch das Buch von Daniel de Roulet, in dem er die Geschichte seines eigenen Brandanschlags erzählt. Er hatte das Chalet des deutschen Verlegers Axel Springer in den Schweizer Alpen angezündet, was von der Polizei nicht aufgedeckt wurde.
Er blieb unbehelligt, obwohl er weitgehend auf das Täterprofil passte. Die Behörden gingen davon aus, dass diese Tat von einem Deutschen verübt worden sein muss.
Wie reagierte die Politik auf die Terrorgefahr von links?
Es gab viele Debatten. Die Forderung nach der Einführung der Todesstrafe wurde laut. Die Meinung nahm überhand, dass jeder Staatsbürger – erst recht, wenn er eine öffentliche Funktion einnahm – damit rechnen müsste, entführt zu werden.
Es gab neue Gesetze zur Terrorbekämpfung. So wurde der Artikel über Entführungen geändert. Neu wurde ins Gesetz der Tatbestand der Entführung eines Mannes aufgenommen. Bisher bezog sich dieses Delikt nur auf Frauen und Kinder.
Das Gespräch führte Sabine Bitter.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kontext, 29.03.2017, 09.02 Uhr