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Bild 1 von 8. 1966 stand Mao Zedong, Vorsitzender des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei (KP), vor dem Fiasko: Sein «Grosser Sprung nach vorne» einige Zeit zuvor mündete in der Wirtschaftskatastrophe, Millionen starben vor Hunger. Aus Angst um seine Position als Führer der Volksrepublik rief er am 16. Mai die «Grosse proletarische Kulturrevolution» aus. Bildquelle: Keystone.
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Bild 2 von 8. Maos Ziel: den Gegner vernichten – politisch und physisch. Dazu zählte etwa der Staatspräsident Liu Shaoqi. Mao hatte zwei Trümpfe in der Hand: Die Volksbefreiungsarmee unter Marschall Lin Biao. Und die Jugend, die mit Maos Schriften aufgewachsen und unzufrieden war über die Arbeitslosigkeit und das eintönige Leben im Wohn- und Arbeitskollektiv. Bildquelle: Keystone.
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Bild 3 von 8. Marschall Lin Biao löste Staatspräsident Liu Shaoqi (im Bild) am 8. August 1966 als Nummer zwei im Staat ab. An seinem 11. Plenum rief das Zentralkomitee der KP ausserdem zur Generaloffensive gegen die Eliten auf. Oder das, was vom Zentralkomitee übrig war: Mehr als die Hälfte der ehemaligen Mitglieder wurde zu dem Zeitpunkt bereits verfolgt. Bildquelle: Wikimedia.
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Bild 4 von 8. Die Speerspitze der Revolution: aufgebrachte Schüler und Studenten, die so genannten Roten Garden. Mit Armbinden und Mao-Bibeln zog der jugendliche Mob durch China und zerstörten alles, was mit alter Kultur in Verbindung stand: Bücher, Gemälde oder Musikinstrumente. Zwischen August und November 1966 herrschte im Land Anarchie. Bildquelle: Wikimedia.
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Bild 5 von 8. Wer als Staatsfeind galt, wurde gemobbt, gequält und ermordet. Kinder denunzierten Eltern. Vor allem Intellektuelle traf es: Professoren wurden auf die Strasse gezerrt und verhöhnt, der Unterricht an Schulen und Universitäten ausgesetzt. «Zerschlagt die vier Alten» – so das Motto Maos. Gemeint waren alte Ideen, Kultur, Bräuche und Gewohnheiten. Bildquelle: Keystone.
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Bild 6 von 8. Im Oktober 1967 wollte Mao die Roten Garden stoppen – der Unterricht an Schulen und Universitäten sollte wieder stattfinden. Doch die jugendlichen Rotgardisten folgten dem Aufruf der Partei nicht und wüteten weiter. Schliesslich musste die Armee einschreiten: Sie entwaffnete die Garden bis 1969 gewaltsam – und richtete viele Jugendliche hin. Bildquelle: Keystone.
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Bild 7 von 8. Maos Tod am 9. September 1976 beendete die Kulturrevolution. Obwohl sie Opfer in Millionenhöhe forderte, wurde sie in China bis heute kaum aufgearbeitet. Die ideologische und kultische Verehrung der charismatischen Führerfigur hielt über Maos Tod hinaus an. Noch immer ist er vielen Bildern und Statuen präsent – hier in der Provinz Sichuan. Bildquelle: Getty Images.
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Bild 8 von 8. Heute lebt die Kulturrevolution in Teilen Chinas selbst als Kult weiter: Im Nordosten des Landes boomen Themenrestaurants, in denen Kellnerinnen wie Rotgardisten angezogen sind. Die Speisekarten stecken im Umschlag der Mao-Bibel, von den Wänden blickt die Riege der kommunistischen Führer. Bildquelle: Getty Images.
Die Kulturrevolution in China in den 1960er- und 1970er-Jahren richtete sich vor allem gegen die Bildung und gegen die alte chinesische Kultur. Warum?
Detlev Claussen: Die Revolution wurde hauptsächlich von den Bauern getragen. Mao Zedong hatte die Vorstellung, dass die Revolution nicht vorankommt, wenn die ungebildeten Massen keinen Zugang zur Kultur haben. Es sollte daher eine neue, revolutionäre Kultur geschaffen werden. Für dieses Ziel war Mao Zedong bereit, sich auf die Jugend zu stützen, welche die Vormacht der alten Kultur und damit auch der alten Kulturträger brechen sollte.
Wie muss man sich das Vorgehen der so genannten «Roten Garden», der revolutionären Kampftruppen Maos, vorstellen?
Die Rotgardisten kamen ins Klassenzimmer und in die Hörsäle der Universitäten, stellten die Autoritäten, die Lehrer und Hochschullehrer, zur Rede. Auf die Universitäten griff die Revolution sehr schnell über, weil die Universitäten und Schulen von der Partei kontrolliert wurden.
Die Parteimitglieder an den Universitäten wie auch die Mitglieder des Parteikomitees verteidigten entweder die Autoritäten – dadurch wurden sie selber angeklagt. Oder aber sie richteten sich linientreu gegen die Autoritäten. Sie können sich vorstellen: Es war ein Tummelfeld für Intrigen und Denunziation.
Während der Kulturrevolution versuchte man alles, was mit alter chinesischer Tradition zu tun hatte, zu zerstören. Wie ist heute der Umgang mit dem chinesischen Kulturerbe?
Heute wird die alte chinesische Kultur als Legitimationsressource der Kommunistischen Partei und des neuen Chinas betrachtet. Es hat sich eine völlige Verkehrung der Verhältnisse eingestellt: Die traditionelle chinesische Kultur dient wieder der Legitimation des neuen chinesischen Nationalismus.
Das wird etwa unterstützt durch den Bau überdimensionierter Museen an verschiedenen Orten Chinas, die nicht nur von ausländischen Touristen besucht werden, sondern auch von innerchinesischen Touristen. Diese stehen dann staunend im Shanghai-Museum, angesichts der 5000 Jahre alten chinesischen Kultur.
Mit Mao Zedongs Tod 1976 war auch die Kulturrevolution zu Ende. Das Vermächtnis waren rund eine Million Tote und ein grosser Scherbenhaufen. Die Kommunistische Partei ist in China immer noch an der Macht – wie schaut sie heute auf die Zeit der Kulturrevolution zurück?
Da die Kulturrevolution ein explizit politisches Thema ist, unterliegt sie völlig der Zensur. Man kann es sich in China nicht leisten, über die Kulturrevolution offen zu reden, sich offen damit auseinanderzusetzen.
Eine richtige Auseinandersetzung mit der Kulturrevolution findet de facto nur im Exil statt. Es gibt in China unglaublich viel Material über die Kulturrevolution. Es gibt etwa chinesische Historiker, die zur Kulturrevolution geforscht haben. Aber diese Arbeiten können in China nicht veröffentlicht werden, sondern müssen ihren Weg ins Ausland suchen.
Es ist natürlich ein grosses Hemmnis auf dem Weg zu einem modernen, über sich selbst aufgeklärten China, dass über so entscheidende Ereignisse nicht offen gesprochen wird.
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Inwiefern spürt man die Kulturrevolution, deren Beginn jetzt 50 Jahre zurückliegt, heute noch in China?
Ich glaube es herrscht in China ein Klima des allgemeinen Misstrauens: Niemandem kann man trauen. Denn was in der Vergangenheit gewesen ist, kann einem plötzlich negativ angerechnet werden.
Besonders während der Kulturrevolution wurden die Lebensgeschichten vieler Leute offengelegt. Was früher ein Verdienst gewesen war, konnte damals wie heute zu einem negativen Faktum in der Lebensgeschichte werden.
Das daraus entstandene generelle Misstrauen ist, glaube ich, ein sehr schwerer Schaden, der die chinesische Gesellschaft bis heute belastet.
- Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 08. August 2016, 08:20 Uhr