Als «Gewerkschafterin und Kämpferin für die Frauenrechte» wird sie
auf dem nach ihr benannten Berner Strassenschild bezeichnet. Margarethe Hardegger selbst nannte sich Sozialistin. Doch sie war mehr als das, agierte als Anarchistin, Antimilitaristin, Gründerin von Kommunen, Gegnerin des Faschismus und Abtreibungs-Helferin.
Mit ihren revolutionären Visionen und Ansichten war sie ihrer Zeit weit voraus. Margarethe Hardegger wurde 1904 als erste Frau zur Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) gewählt. Nicht nur in dieser Funktion übernahm sie eine Rolle als Pionierin.
Tanz auf (zu) vielen Hochzeiten
Sie beteiligte sich auch am ersten Frauenstreik der Schweiz von Schokoladearbeiterinnen im Welschland, kämpfte für das Frauenstimmrecht, eine Wöchnerinnenversicherung und die sexuelle Aufklärung. In der Folge setzte sie sich ausserdem für die Verbreitung von Verhütungsmitteln und das Recht auf Abtreibung ein.
Wie schaffte es Margarethe Hardegger, so viele Wirkungsfelder zu vereinen? Woher nahm sie die Kraft, ihre Anliegen beharrlich zu verfolgen, obwohl sie immer wieder ausgebremst wurde? Trotz ihres unermüdlichen Einsatzes für die Arbeiterbewegung, den Frieden und die Frauen erlitt Margarethe Hardegger zahlreiche Rückschläge, beruflich und privat.
Kämpferin für die Rechte der Frauen
Ein Spannungsfeld, in dem sich Margarethe Hardegger gefangen fühlte, war jenes zwischen Beruf und Politik sowie Privatem. Sie wollte viel bewirken, Arbeiterinnen zum Eintritt in die Gewerkschaft bewegen und die Öffentlichkeit für deren Rechte sensibilisieren – und sah sich dabei stets einer Mehrfachbelastung ausgesetzt.
Bereits bei Antritt der Stelle beim SGB gab es Konflikte bezüglich Hardeggers Aufgaben – unter anderem wurde angezweifelt, ob die Arbeit mit Familie vereinbar sei. Margarethe Hardegger war schwanger mit ihrem zweiten Kind und nahm die Arbeit später als geplant auf. Es war klar, dass sie häufig unterwegs sein würde, aber sie verbat sich die Einmischung in Privates und erklärte ihre Motivation: «…nichts aber hätte mich vermocht, von meiner Familie wegzugehen und Fremde anzustellen für meine Kinder (…), wenn ich nicht gedacht hätte an die viel tausend arme Kinder, deren Mütter in den Fabriken arbeiten, und die in den Kinderkrippen liegen (…) oder in dunklen Stuben eingeschlossen sind und auf durchnässten Säcken weinen.»
Anarchistin mit Ambitionen
In ihrer Funktion als Gewerkschafts-Sekretärin reiste Margarethe Hardegger viel und war monatelang weg von Zuhause; sie war eine begnadete, Rednerin, sowohl auf Deutsch als auch auf Französisch. Zudem publizierte sie zahlreiche Artikel; unter anderen gab sie die Arbeiterinnenzeitschrift «Die Vorkämpferin» heraus.
Im Jahr 1909 verlor Margarethe Hardegger ihre Stelle beim SGB – ihre radikalen Meinungen kamen nicht bei allen gut an. In der «Vorkämpferin» veröffentlichte sie einen Abschiedsbrief: «Und so beherrschte mich allmählich nur der eine Wille: (…) Euch zu zeigen, wie man zusammenlebt und zusammenarbeitet, ohne Lohnsystem, ohne Unterdrückung – einfach in Freiheit. Nun kommt man und sagt, ich passe nicht mehr zu Euch. Das finde ich nicht – ich gehöre zu Euch.»
Später engagierte sich Margarethe Hardegger in anarchistischen Kreisen, verliebte sich – mittlerweile getrennt von ihrem Ehemann August Faas und Mutter von zwei Töchtern – in Gustav Landauer. Mit ihm war sie im Sozialistischen Bund aktiv und gab die Zeitschrift «Der Sozialist» heraus. Auch für die Abschaffung der Ehe und für die freie Liebe stand Margarethe Hardegger ein. 1914 gründete sie die erste von drei Kommunen, die aber alle scheiterten.
Ein zu enger Rahmen für einen weiten Geist
Als Anhängerin von Beziehungen ohne Zwang war sie auch die Geliebte des Anarchisten Erich Mühsam. Jahre später heiratete sie erneut: den deutschen Schreiner und Militärdienstverweigerer Hans Brunner.
Immer wieder stiess Margarethe Hardegger durch ihre vielfältigen Verpflichtungen und Engagements an Grenzen. In einem Brief an Mühsam im Juli 1914 klagte sie: «Es ist mir unmöglich, Dich allein diese Reise machen zu lassen und begleiten könnte ich Dich nicht wegen rein häuslichen Gründen. Meine Kinder sind schwer krank gewesen (…). Meine Mutter ist allein und (…) kraftlos. Hier braucht mich alles – ich war zu lange weg. (…) Ich möchte mich in Stücke reissen, aber es geht nicht.»
Einige Jahre lang lebte Margarethe Hardegger in München und Berlin; sie bewegte sich auch auf internationaler Ebene in sozialistischen und anarchistischen Kreisen, baute ein riesiges Netzwerk auf. Doch selbst in den eigenen Reihen stiessen ihre kämpferische Natur und krassen Ansichten nicht immer auf Zustimmung. Zudem wurde sie mehrmals verhaftet; 1915 musste sie wegen Beihilfe zur Abtreibung sieben Monate hinter Gitter, in die «Weiberanstalt» Hindelbank. Dort musste die Pazifistin ausgerechnet Armeeplanen nähen.
Geburtshaus als Familienunternehmen
Ab 1928 führte Margarethe Hardegger mit ihrer älteren Tochter Olga zeitweise ein Geburtshaus in Minusio. Allerdings wurde auch diese Phase von Problemen getrübt: einerseits durch Geldsorgen und den erbitterten Alimente-Streit mit Faas um die Rückzahlung von unterlassenen Unterhaltszahlungen.
In einer Antwort im Rechtsstreit mit dem Ex-Mann heisst es: «Er weiss für seine Person ganz genau, dass die Klägerin, zumal mit der einsetzenden Teuerung, mit ihren Kindern hat darben und Schulden machen müssen.»
Andererseits belastete Hardegger die Schizophrenie ihrer jüngeren Tochter Lisa; sie machte sich schwere Vorwürfe: Sie habe Lisas Gemüt am Ende der Schwangerschaft belastet, weil sie «zu viel geweint» habe – es war die Zeit vor Antritt ihrer Stelle beim SGB.
Geschichtsschreibung mit Frauen
Margarethe Hardegger nahm vieles vorweg, was uns heute selbstverständlich erscheint; vom Frauenstimmrecht über Verhütung bis hin zur Freiheit, ohne Ehe zusammenzuleben. Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen ihre Ansichten jedoch skandalös. Gerade weil sie ihrer Zeit voraus war, sah sie sich oft mit Unverständnis oder Ablehnung konfrontiert.
Margarethe Hardegger gestaltete ihr Leben so aussergewöhnlich, dass ihr ein Platz in der «alternativen» Sicht auf die Vergangenheit gebührt. Vielleicht hätte Hardegger in unserer Zeit auch ein etwas angenehmeres Leben führen können.