Aconcagua und Matthias Zurbriggen: Beide sind bis heute untrennbar miteinander verbunden. Der Walliser gilt als der erste dokumentierte Mensch, welcher den höchsten Berg Lateinamerikas (6961 M.ü.M.) bezwang. Und das vor über 120 Jahren.
Einer der ganz Grossen
«Die Freude, die ich da oben empfand, lässt sich leichter vorstellen als beschreiben», schrieb er in seiner Autobiografie einige Jahre später. «Welch tiefen Eindruck machen doch die herrlichen Werke unseres Schöpfers in solchen Höhen.»
Für den Berner Alpinismus-Historiker Daniel Anker ist klar: «Dadurch, dass er auf der ganzen Welt unterwegs gewesen ist, ist er einer der ganz grossen Bergsteiger dieser Zeit.»
Doch Rekorde wie derjenige am Aconcagua werden immer mal wieder bezweifelt. Erst diese Woche wurde etwa auch Reinhold Messner ein Rekord im Guinness Buch der Rekorde aberkannt.
Heute ist man sich auch beim Aconcagua nicht mehr ganz sicher, ob Zurbriggen der Erstbesteiger war. Denn 1985 wurde unterhalb des Gipfels auf einer Höhe von gut 5300 Metern über Meer eine Inka-Mumie entdeckt, was dafürspricht, dass das Urvolk schon früh sehr hoch stieg.
Vom Bergbub zum gefragten Bergführer
Zurbriggen, 1856 in eine ärmere Familie im Wallis hineingeboren, wuchs im italienischen Bergdörfchen Macugnaga auf. Schon mit 13 Jahren ging er weg, versuchte sich in verschiedenen Berufen und verbrachte viel Zeit im Ausland.
Er war einer, der den Gipfelerfolg unbedingt suchte.
Erst nach elf Jahren kehrte er nach Macugnaga zurück, um seiner Familie zu sagen, dass er nach Chile auswandern wolle. Seine Mutter hielt ihn davon ab. So blieb er in Macugnaga – und entdeckte die Schönheit der Berge des Monte-Rosa-Massivs und der «höchsten Wand der Alpen» wieder: «Meine Augen suchten immer die Berggipfel! (…) Und heiss regte sich in mir der Wunsch, Bergführer zu werden.»
Durch seine Kontakte im Dorf traf er schnell auf gleichgesinnte Bergsteiger. Sein Instinkt half ihm bei der Suche nach geeigneten Aufstiegen. Zurbriggen wurde bekannter – und immer häufiger von ausländischen Bergsteigern für Touren gebucht.
Als Bergführer in den Himalaya
So kam es, dass der Engländer Martin Conway in Zermatt auf ihn zukam und ihn für eine fast einjährige Reise nach Pakistan ins Himalayagebiet engagierte. Es kam ihm zugute, dass er in seiner Jugend gereist war, sagt Historiker Daniel Anker: «Man war froh, wenn man einen Führer hatte, der sich in fremden Ländern zurechtfinden konnte.»
Die Besteigungen waren anspruchsvoll und streng. In ruhigeren Zeiten fertigte Conway Messungen und Karten an, Zurbriggen reparierte Schuhe.
Nach einem knappen Jahr war er zurück in Macugnaga. Doch die nächste Reise rief schon bald. Über Conway lernte er den amerikanisch-englischen Bergsteiger Edward Fitzgerald kennen. Dieser plante eine Neuseelandreise mit dem Ziel der Erstbesteigung des höchsten Gipfels, des Mount Cook. Zurbriggen willigte ein und unterschrieb einen mehrjährigen Vertrag.
Von nun an war Fitzgerald sein «Brotherr», wie er es nannte. 1894 ging es los. Doch ein lokales Bergsteigerteam schaffte den Aufstieg zum höchsten Berg kurz zuvor. Zurbriggen wollte später dennoch hoch – und fand beim Aufstieg eine neue Route, die bis heute seinen Namen trägt: Zurbriggen Ridge. Doch die Reise wurde fast zum Desaster: Fitzgerald und Zurbriggen entgingen beim Mount Sefton auf brüchigem Gestein nur knapp dem Tod.
Karrierehöhepunkt Aconcagua
Nach einer weiteren Reise nach Neuseeland ging es für den Bergführer zusammen mit Fitzgerald nach Südamerika. In den Anden hatte das Team vor, erstmals den Aconcagua zu bezwingen.
Doch der erste Versuch startete mit einem Dämpfer für Zurbriggen. Sie entschieden sich, nach einem Teilaufstieg zur Erholung zurückzukehren. Der Abstieg wurde für ihn beinahe zum Verhängnis. Die Strömung eines Flusses riss ihn fort. Die Tage danach verbrachte er unterkühlt in Decken eingewickelt, fluchend und mit Schmerzen.
Sein Leben endete, als er es bis zur Neige ausgetrunken hatte.
Es sollte erst beim vierten Anlauf klappen. Fitzgerald musste unterwegs wegen Höhenproblemen aufgeben. Zurbriggen beschloss, es alleine zu versuchen – und schaffte es. Zuoberst angekommen, baute er eine Steinfigur und schnitzte seinen Namen in den Holzgriff des Pickels seines Brotherrs – und liess diesen auf dem Berg, um zu zeigen: Ich war oben. «Er war einer, der den Gipfelerfolg unbedingt suchte», sagt Historiker Daniel Anker.
Eine Stunde blieb er auf dem Dach Amerikas. Fitzgerald war ausser sich vor Freude und wollte die Botschaft raschmöglichst verbreiten. Zeitungsberichte und eine Party im Schweizer Konsulat machten Zurbriggen endgültig zu einem der grössten Bergführer seiner Zeit. «Das hat ihn berühmt gemacht», sagt Anker. Nach einer weiteren Besteigung kehrte er bald nach Europa zurück.
Grosse Karriere, trauriges Lebensende
Seine Erfolge mochten ihn aber nicht das ganze Leben bereichern. Seine Autobiografie hört einige Jahre nach dem Erfolg in Südamerika abrupt auf – danach ist über den weiteren Lebensverlauf Zurbriggens nur wenig bekannt. Er liess sich in Genf nieder, verfiel dem Alkohol und nahm sich mit 61 Jahren das Leben.
Einer seiner ersten Brotherren, Martin Conway, schreibt später in einem Nachruf: «Sein Leben endete, als er es bis zur Neige ausgetrunken hatte». So nahm eine grosse Bergführerkarriere tragisch ihr Ende – in der tristen Stadt im Tal, anstatt in seinen geliebten Bergen.