Die Organspende sei eine «eine edle und verdienstvolle Tat», sagt die römisch-katholische Kirche. Zwei Päpste haben sich dafür ausgesprochen. Auch die evangelisch-reformierte Kirche der Schweiz befürwortet die Organspende.
Das Leben, so heisst es im Christentum, ist ein Geschenk Gottes. Es zu erhalten, indem man seine Organe spendet, sei ein Akt der Nächstenliebe. Zumindest, sofern diese Spende freiwillig erfolgt. «Niemand hat grössere Liebe, als wer sein Leben einsetzt für seine Freunde», heisst es im Johannes-Evangelium.
Ähnliche Ansichten finden sich auch im Islam. Im Koran steht: «Wenn jemand einem Menschen das Leben schenkt, so ist es, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben geschenkt.»
Wann ist man wirklich tot?
Soweit die religiösen Texte. In der Praxis ist die Situation nicht immer so einfach. Susanna Meyer Kunz, evangelisch-reformierte Pfarrerin und Seelsorgerin am Universitätsspital Zürich, weiss das aus eigener Erfahrung. Denn wer als Organspenderin oder Organspender infrage kommt, liegt im Sterben, meist nach einem Unfall. Für die Angehörigen ist das eine absolute Ausnahmesituation.
«Ich erinnere mich an einen jungen Mann, der in einer Lawine umkam», berichtet Meyer Kunz. «Er hat geatmet, sah überhaupt nicht tot aus, aber der Hirntod war eingetreten.» Für die Angehörigen sei dies schwer zu begreifen gewesen. Sie zweifelten den Tod an.
Eine rein naturwissenschaftliche Definition von Tod wie der Ausfall des Gehirns reiche nicht, betont auch Michael Coors. Der Sozialethiker arbeitet am Ethikinstitut der Universität Zürich. Der Tod sei komplex und ein Beziehungsphänomen, sagt er: «Entscheidend kann auch sein, wann ich für die anderen tot bin.»
Angehörige müssen Tod erleben können
Der Tod muss also für die Angehörigen fass- und erlebbar sein. Nur dann können sie ihn akzeptieren. Hier übernimmt auch die Religion eine wichtige Rolle. «Viele Angehörige machen sich Gedanken, wann die Seele bei einer Organspende den Körper verlässt», erklärt Pfarrerin Meyer Kunz. Auch die Jenseits-Vorstellungen und die Frage, was nach dem Tod passiert, fliessen also in die Entscheidung ein.
Leibliche Auferstehung trotz Organspende?
Für manche Angehörige ist der Gedanke ein Trost, den geliebten Menschen später im Himmel wieder zu treffen. Susanna Meyer Kunz erzählt von einer Mutter, selbst Organspendebefürworterin. Als die Tochter schwer verunfallte, entschied sich die Mutter trotzdem gegen eine Spende.
«Ihr war wichtig, dass die schwer verunfallte Tochter möglichst unversehrt beerdigt wird.» Ethiker Michael Coors erstaunt das nicht: «In der Hoffnung auf eine leibliche Auferstehung zeigt sich, dass wir uns ohne Bezug auf einen Körper nicht vorstellen können, noch dieselbe Person zu sein. Darum kann ein Eingriff in den schon töten Körper noch als Verletzung der Person erlebt werden.»
Christentum prägt auch Nichtgläubige
Der Körper – christlich ausgedrückt «der Leib» – ist ein zentrales Element unserer Identität. Ein Leben ohne Körper lässt sich kaum vorstellen. In anderen Religionen ist diese Verbindung dagegen weniger stark ausgeprägt.
Diese christlich geprägten Vorstellungen von Körper, Leben und Tod können den Entscheid für oder gegen eine Organspende beeinflussen. Das kann selbst bei Organspenderinnen und Angehörigen der Fall sein, die sich dessen nicht bewusst sind und die sich nicht als gläubig bezeichnen.