Was, wenn #MeToo, #Aufschrei, #neinheisstnein gar nicht so emanzipatorische Bewegungen sind, wie sie sein wollten? Was, wenn damit das eigentlich Bekämpfte, nämlich das verkrustete Patriarchat, durch die Hintertür wieder hereingelassen wird?
Diese Fragen stellt Svenja Flasspöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins. Ihr neu erschienener Essay «Die potente Frau» ist eine Streitschrift, die abrechnet mit der breit akklamierten #MeToo-Bewegung. Sie will aufzeigen, was darin schiefgelaufen ist – nämlich ziemlich viel. Zum Unmut diverser FeministInnen.
Ein Diskurs geführt aus der Opferrolle?
Flasspöhler beklagt, dass im aktuellen Diskurs das Begehren des Mannes aktiv thematisiert werde, dasjenige der Frau hingegen nur reaktiv auf den Mann bezogen. Damit gehe auch einher, dass der Mann zu einem übergriffigen Wesen und die Frau zu einem mutlosen, infantilen Opfer des Mannes degradiert wird.
Letztlich gehe es immer darum, wie die Frau vor der männlichen Lust zu schützen sei. Unterschwellig reproduziere #MeToo also das patriarchale Weltbild. Deshalb plädiert Flasspöhler für eine potente Frau, die ihre Sexualität frei ausleben soll.
Verkürzte Opfer-These?
Für ihr Plädoyer wurde sie von diversen Seiten kritisiert. Beispielsweise von Franziska Schutzbach, Soziologin und Gender-Wissenschaftlerin an der Universität Basel. Flasspöhlers Opfer-These hält Schutzbach für verkürzt.
Ihrer Ansicht nach kommen die benannten medialen Aufschreie keineswegs aus einer Position der Schwäche heraus, ganz im Gegenteil. Sie sieht darin einen Ausdruck von Stärke, ein demokratisches Prinzip auch, eine Solidarisierung und Kollektivierung eines gesellschaftlichen Problems.
Längst schon potent?
Durch #MeToo seien Frauen und Aktivistinnen auf einer öffentlichen Ebene zusammengekommen, verbunden durch die Offenlegung von lange Verschwiegenem. Diese monatelange öffentliche Kritik, die Bereitschaft in Kauf zu nehmen, dass man dafür auch Hass und Anfeindung kassiert, und der Mut, nicht gefällig zu handeln, sind für Schutzbach potente Zeichen von Seiten der Frauen.
Zwar teilt sie Flasspöhlers Forderung, Frauen sollten selbstbewusster agieren. Auch ist sie einverstanden, dass Frauen nicht nur nachträglich reagieren, sondern in prekären Situationen, wenn möglich, aktiv agieren sollten.
Die Stärkung von Frauen und Mädchen – etwa durch Selbstverteidigungskurse – ist aber längst ein wichtiger Bestandteil feministischer Politik. Flasspöhler blende dies zugunsten ihrer Opfer-Unterstellungen einfach aus.
Selbstverschuldete Unmündigkeit?
Flasspöhler fragt aber auch, welchen Anteil die Frau selbst an den herrschenden sexistischen Verhältnissen trägt. Sie konstatiert: Frauen haben mehr Möglichkeiten als sie nutzen, halten aber zwanghaft an ihrer Opferrolle fest.
Dieses Verhältnis will auch Schutzbach reflektiert wissen, weist aber darauf hin, dass es schon feministische Debatten gibt, die Flasspöhler alle unterschlage. Welchen Anteil die Frau am Patriarchat habe, analysierte etwa Christina Thürmer-Rohr in ihrem Buch «Mittäterschaft von Frauen».
Ferner gehe es bei #MeToo explizit um sexualisierte Gewalt, hier eine solche Forderung einzubringen, sei deplatziert. Die Herausforderung bestünde darin, über weibliche Mittäterschaft oder Potenz zu reden, ohne Gewalt herunterzuspielen.
Sex sells
Überdies bemängelt Flasspöhler in ihrem Essay den Fokus auf die sexualisierte Gewalt. Dieser sei ökonomisch motiviert. Während handfeste Ungleichheiten wie etwa die Löhne in der Debatte keine zentrale Rolle einnehmen, werden Berichte zu sexuellem Machtmissbrauch perpetuiert, weil sie sich besser verkaufen. Ihr fehlt dabei die Frage: Wurden in diesen Situationen die Handlungsoptionen ausgeschöpft?
Wie aber sollen unterprivilegierte Frauen in prekären Situationen handeln? Schutzbach hält dagegen, dass Sichtweisen wie jene von Flasspöhler ein gesellschaftliches Problem individualisieren und aus einer privilegierten Situation heraus formuliert sind: Welche Frauen können in welchem Moment potent handeln?
Frauen leben Schutzbach zufolge unter extrem unterschiedlichen Bedingungen. Die Forderung, potent zu handeln, sei zu pauschal und greife zu kurz. Zum Beispiel können viele Frauen oft nicht potent agieren, weil sie ökonomisch abhängig von Männern sind. Die Forderung muss also auch sein, Ungleichheit insgesamt abzubauen.