Guillermo Arriaga hat ein Faible für Geschichten, in denen Gewalt, Schuld, Vergebung und Sex in immer neuen Variationen auftauchen. Der Mexikaner wurde mit seinen Drehbüchern zu Alejandro González Iñárritus Filmen «Amores Perros», «21 Gramm» oder «Babel» weltbekannt.
Arriagas neuer Roman «Das Feuer retten» blickt schonungslos auf die Misere Mexikos. Er zeigt ein Land, das im Würgegriff skrupelloser Drogenbarone und korrupter Politiker dahindarbt.
Ist Mexiko noch zu retten? Gespräch mit einem, der seine Finger in die Wunden legt.
SRF: Faktisch befindet sich Mexiko in einem aussichtslosen Bürgerkrieg zwischen dem Staat und den Drogenkartellen. Bewaffnete Bürgerwehren nehmen das Heft in die eigene Hand. Bis zu 50'000 Menschen sterben jährlich. Versinkt Mexiko im Chaos?
Guillermo Arriaga: Das ist eine übertriebene Sicht auf Mexiko. Es gibt Gebiete, die wirklich gefährlich sind. Der Südosten und einige Bundesstaaten im Norden sind völlig sicher. In Mexico City fahren nicht ständig Panzer durch die Stadt.
12 der 100 reichsten Menschen der Welt sind Mexikaner. 55 Prozent sind hingegen sehr arm.
Dennoch befindet sich Mexiko gerade am Tiefpunkt. Es kann nur noch bergauf gehen. Wenn man in Mexiko aufs Land fährt, findet man die besten Menschen der Welt. Sie werden dir alles geben, was sie haben. Wenn sie nur eine Tortilla zu essen haben, geben sie dir die Hälfte davon ab.
Was sind die Ursachen der Katastrophe?
Der Grund für den Bürgerkrieg in Mexiko liegt an unserer globalisierten Wirtschaft. Sie hat viele Menschen in Mexiko zu Millionären gemacht. 12 der 100 reichsten Menschen der Welt sind Mexikaner. Gleichzeitig sind 55 Prozent der mexikanischen Bevölkerung sehr arm. Diese Widersprüche haben nun ihren Siedepunkt erreicht.
Korruption ist wie ein Krebsgeschwür der mexikanischen Gesellschaft.
Mexikos wichtigster Handelspartner sind die USA. Durch das Freihandelsabkommen NAFTA ist Mexiko mit Kanada und den USA wirtschaftlich eng verflochten. Die USA aber fürchten die Mexikaner, die aus ihrem Land in den Norden fliehen und haben ihre über 3'100 Kilometer lange Grenze festungsartig ausgebaut.
An der Grenze zwischen den USA und Mexiko gibt es eine ganz eigene Lebenswelt: Die meisten Grenzsoldaten sind in Mexiko aufgewachsen, aber US-amerikanische Staatsbürger.
Sie kehren zurück in die Vereinigten Staaten, um dort als Grenzschutzbeamte zu arbeiten und müssen dann Mexikanerinnen und Mexikaner daran hindern, in die USA zu kommen. Das ist paradox, aber Teil der Wirklichkeit, die ich als Filmemacher dokumentiere.
Sie sind kein Politiker. Was können Sie als Künstler für Ihr Land tun?
Korruption ist wie ein Krebsgeschwür der mexikanischen Gesellschaft. Wenn ich als Autor und Filmregisseur die Korruption in Mexiko ändern will, muss ich zeigen, wie korrupt wir sind und wie schlimm die Dinge stehen. Wenn man sein Land liebt, sollte man nicht nur schöne Dinge über es schreiben.
Für den Film «Babel» von Alejandro González Iñárritu haben Sie diesen denkwürdigen Dialog geschrieben: «Meine Mutter sagt immer, Mexiko sei gefährlich.» – «Stimmt, es ist ja voller Mexikaner.» Das klingt ziemlich sarkastisch.
Das war ein Spass, der auf die US-Amerikaner gemünzt ist, die schon immer eine grosse Furcht vor den Mexikanern hatten.
Das Gespräch führte Sven Ahnert.