Frau O. wird in den 1960er-Jahren von einem Priester sexuell missbraucht und schwanger. Die damaligen Verantwortlichen im Bistum Chur kehren die Vaterschaft des Täters unter den Teppich.
Sie verbieten dem Priester jeglichen Kontakt mit dem Kind. «Das war niederschmetternd für mich», sagt Frau O. Sie leidet bis heute darunter.
Angelica Venzin hört die Geschichte von Frau O. in einer Radio-Sendung. Venzin ist Präsidentin des diözesanen Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe in der Pastoral» im Bistum Chur. Sie nimmt mit Frau O. Kontakt auf und weist sie auf die Arbeit des Fachgremiums hin.
Ein Zeichen des guten Willens
Frau O. meldet sich und erzählt einer Ansprechperson ihre Geschichte. «Das tat mir sehr gut», sagt Frau O. heute. Ihr wird eine finanzielle Genugtuung zugesprochen.
Angelica Venzin sagt: «Wir können die Tat nicht ungeschehen machen, aber zumindest ein Zeichen des guten Willens setzen.» Doch all die Jahre vermisst Frau O. eine Entschuldigung der Kirche.
Späte Genugtuung
Vor wenigen Tagen trifft ein Brief des Churer Bischofs Vitus Huonder ein. Die lang ersehnte Entschuldigung. «Der Brief ist sehr schön und einfühlsam formuliert», sagt Frau O.
In der römisch-katholischen Kirche der Schweiz haben sich bis Ende 2017 283 Betroffene gemeldet. Die Schweizer Bischöfe haben einiges unternommen, um Transparenz zu schaffen und die Fälle aufzuarbeiten: Fachgremien in den Diözesen, verschärfte Pflicht zur Anzeige von sexuellen Übergriffen, einen Genugtuungsfonds für Betroffene und Massnahmen zur Prävention.
Angelica Venzin kann die Kritik von aussen nachvollziehen, die Aufarbeitung sollten nicht-kirchliche Fachleute leisten. Sie ist aber davon überzeugt, dass sich die Fachgremien in den Bistümern für die Interessen der Opfer einsetzen.
Verfassungskrise
«Ich halte das für eine moralische Katastrophe», kommentiert Erwin Koller die sexuellen Übergriffe im kirchlichen Umfeld und spricht von einer «Verfassungskrise der römisch-katholischen Kirche».
Koller hat einst als Priester in der Kirche gearbeitet, das Priesteramt niedergelegt und dann als Journalist gearbeitet. Heute steht er als Präsident der «Herbert Haag Stiftung» für Reformen in der römisch-katholischen Kirche ein.
In die Kinderschutz-Konferenz im Vatikan setzt Erwin Koller keine grossen Hoffnungen. Der Klerus könne sich nicht an den eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen.
«Schönes Gerede»
«Was ich bis heute gehört habe, ist – bis auf wenige Ausnahmen - schönes Gerede, Bekundungen von Bedauern, Absichtserklärungen und moralische Aufrufe», erklärt Erwin Koller.
Die Wurzelbehandlung stehe noch aus. Koller fordert grundlegende Reformen der Sexualmoral und die Abschaffung des Klerikalismus und des Pflichtzölibats in der römisch-katholischen Kirche.
Die Erwartungen an die Kinderschutz-Konferenz im Vatikan sind hoch. Papst Franziskus hat bereits im Vorfeld des Krisengipfels vor überzogenen Erwartungen gewarnt.
Betroffene kommen via Videokonferenz zu Wort. Am Rand der Bischofskonferenz sind Begegnungen mit Vertretern von Opferverbänden geplant. Dies könnte bei den Bischöfen das Bewusstsein für das Leid von Betroffenen und für die Notwendigkeit von Transparenz und Prävention schärfen.