- Mit dem Anlegen des Dampfers Knipscheer 9 und der mit Kohle belandenen «Christine» im Schlepptau beginnt die moderne Rheinschifffahrt in Basel.
- Ein Hafen wird gebaut, eine schweizerische Reederei gegründet, ein Seerecht für Handelsschiffe auf dem Meer erarbeitet.
- In 40 Jahren wird aus dem Binnenland Schweiz eine Nation mit eigener Handelsflotte.
Das Foto vom 2. Juni 1904 zeigt einen historischen Moment für die Schweiz: Da legt in Basel vor den Augen einer begeisterten Bevölkerung der erste Schleppzug an – der Dampfer Knipscheer 9 mit der Kohle belandenen «Christine» im Schlepptau. Mit 500 Tonnen Kohle an Bord arbeiten sich die beiden Boote zwei Tage lang Meter für Meter gegen die Wucht des Rheines von Strassburg her vor Richtung Basel.
Den Rhein stromaufwärts fahren, das geht!
Zu verdanken ist diese Sensation einem 29-jährigen Ingenieur, der kühn behauptet, er würde das schaffen, was seit der Zähmung des Rheins 1820 nicht mehr möglich war: Ihn zwischen Strassburg und Basel stromaufwärts mit Waren zu befahren.
Rudolf Gelpke, fasziniert vom wirtschaftlichen Potential der Schifffahrt, verkündet 1902 in einer Aufsehen erregenden Broschüre: «Hier ist der offene Strom mit seiner durch die Wiener Verträge garantierten Freiheit der Schifffahrt. Folget meinem Rat, benutzt ihn, stellt Schiffe auf seinen breiten Rücken, er wird euch die Kohlen- und Getreidetransporte verbilligen, den Schweizerischen Bundesbahnen neue Transportmengen zuführen und eurer Wirtschaft ungeahnte Dienste leisten».
Er lässt nicht locker und zwei Jahre später, mit der Ankunft des ersten Schleppzuges am 2. Juni 1904, ist der Beweis erbracht: Jetzt steht nichts mehr seiner Vision im Wege.
Die Katastrophe
Ein historischer Moment – mit tragischem Ausgang: Als die beiden Schiffe sich nach einigen Tagen bereit machen zur Talfahrt, reisst das Schleppseil. Die Christine treibt hilflos den Fluss hinunter, kracht kurz nach Basel in die Haltinger Schiffsbrücke und sinkt. Die Mannschaft kann sich retten, doch das Schiff und die Ladung sind verloren. Ein gigantischer Verlust für den privaten Besitzer der «Christine», den er alleine zu tragen hat. Versicherungen gibt es damals noch keine.
Diese Havarie ist Wasser auf die Mühlen von Gelpkes Kritikern. Doch der Ingenieur lässt sich nicht beirren und beginnt, weitere Schleppfahrten und Geldgeber zu organisieren. In Basel hat er inzwischen volle Unterstützung, zu offensichtlich sind die Vorteile des Wasserweges in Zeiten, wo das Auto ein seltenes Gefährt ist, Lastwagen gerade erst erfunden sind und die Eisenbahn zu wenig Kapazitäten hat, um die notwendigen Mengen an Kohle und Getreide zu liefern.
Vom Binnenland zur Nation mit Flotte
In rasendem Tempo wird in Basel ein Hafen gebaut, eine schweizerische Reederei gegründet, ein Seerecht für Handelsschiffe auf dem Meer erarbeitet, eigene Schiffe gekauft, junge Schweizer zu Matrosen und Schiffsführern ausgebildet, denn inzwischen haben zwei Weltkriege die Welt ins Chaos gestürzt und auch der Schweiz schmerzhaft ins Bewusstsein gebracht, dass der Anschluss an den Welthandel via Wasserweg auch für ein neutrales Land so existenziell ist, wie die Aorta für die Versorgung des Herzens.
In 40 Jahren wird aus dem Binnenland Schweiz eine Nation mit eigener Handelsflotte und vor allem eigenem Personal, das im Zweiten Weltkrieg – als der Rhein zur Kampffront wird – für die Schweiz unter Lebensgefahr die Kohlen aus dem Feuer holt.
Der 2. Weltkrieg und die goldenen 60er-Jahre
Bis 1944: Da jagen die Alliierten das deutsche Stauwehr Märkt unterhalb von Basels in die Luft. Der Rhein schiesst plötzlich ungebremst Richtung Meer, im Basler Rheinhafen senkt sich der Wasserspiegel so stark, dass die Schiffe wie gestrandete Wale auf dem Trockenen liegen.
Doch statt das Schiffspersonal der lahmgelegten Schiffe zu entlassen, schickt die schweizerische Reederei die Männer nach Waldenburg in den Landdienst. Als der Krieg vorüber ist, die Schleusen wieder hergestellt, verfügt die Schweiz über eine unversehrte Flotte samt unversehrter Mannschaft. Die Grundlage für die goldenen Jahre der Rheinschifffahrt mit ihrem Höhepunkt in den 60er Jahren.