Wie geht es meinem Gegenüber? Die wichtigste Möglichkeit, das zu erkennen, ist und bleibt das Lesen der Mimik: Rümpft mein Gegenüber die Nase? Zieht es die Oberlippe hoch, kneift es die Augenbrauen zusammen?
Die Stimmung anderer Menschen einzuschätzen, wird nun aber schwieriger als auch schon. Seit gestern sind Masken in Trams, Bussen und Zügen schweizweit Pflicht. Das wirkt sich auf unsere Kommunikation aus.
Botschaft ohne Worte
Denn Mimik diene längst nicht nur dazu, Emotionen auszudrücken, sagt Eva Bänninger-Huber, die sich als Emotions- und Psychotherapie-Forscherin an der Universität Innsbruck mit ihr beschäftigt. Vielmehr funktioniere sie wie eine Art zweite Ebene der Kommunikation.
«Wenn ich zum Beispiel in einer Konfliktsituation etwas Unangenehmes sage, es aber mit einem Lächeln begleite, dann signalisiert das dem Gegenüber: ‹Ich sage dir jetzt etwas Böses, aber ich mag dich trotzdem.›»
Mimik kann also zeigen, in welcher Beziehung jemand zu seinem Gegenüber steht. Sie kann aber auch signalisieren, wie jemand etwas bewertet, zum Beispiel durch eine hochgezogene Augenbraue oder ein ironisches Augenzwinkern.
Sie kann das Gegenüber sogar zu einer bestimmten Handlung auffordern. Ein Lächeln signalisiert: «Was du sagst, gefällt mir. Sprich weiter!» Ein zusammengekniffener Mund dagegen: «Was du sagst, passt mir nicht. Hör auf!»
Ohne Mund mehr Missverständnisse
Gerade die Mundpartie sei in Sachen Mimik von grosser Bedeutung, sagt Eva Bänninger-Huber. So gebe es etwa zehn verschiedene Arten zu lächeln. Nur eine davon lässt sich auch mit Mundnasenschutz erkennen: das Lächeln, das so von Herzen kommt, dass sich auch rund um die Augen Fältchen bilden.
Das Tragen von Masken schränkt diese subtilen Kommunikationsformen massiv ein, sagt die Mimikforscherin. «In Stresssituationen, in überfüllten S-Bahnen zum Beispiel, sind die Leute angespannt. Es kommt schnell zu Konflikten, man kommt etwa jemandem zu nahe.» Gerade in solchen Momenten wäre es wichtig, das Beziehungsangebot, dass ein Lächeln sein kann, wahrzunehmen.
Für Kinder und Demente schwierig
Wenn diese mimischen Beziehungsangebote fehlen, weil sie durch eine Maske verdeckt werden, ist das für manche Menschen besonders schlimm. Zum Beispiel für kleine Kinder. Sie erkennen anhand der Mimik ihrer Eltern, wie sie eine Situation einordnen müssen.
Ähnlich zentral ist Mimik auch für demente Menschen, erklärt Eva Bänninger-Huber: «Demente Personen haben oft keinen direkten Zugang zu ihren eigenen Gefühlen und brauchen ein Gegenüber, das ihnen hilft, die eigenen Gefühle zu erkennen.» Dabei spiele Mimik eine wichtige Rolle: «Wenn etwa der Pfleger lacht, dann weiss die Patientin: Ich darf auch lachen, es ist etwas Lustiges.»
Höflich und humorvoll
Für alle Menschen gilt: Sie richten sich in ihrem Verhalten nach der Mimik des Gegenübers, wenn sie verunsichert sind und beispielsweise nicht wissen, ob sie lachen dürfen oder nicht. Wie kann man damit umgehen, dass diese subtilen Signale nun im öffentlichen Verkehr verloren gehen?
Einfach mehr zu gestikulieren sei keine Lösung, ist Eva Benninger-Huber überzeugt. Denn anders als Mimik unterstreiche Gestik vor allem das Gesagte.
Wichtig ist laut der Mimikforscherin vor allem, besonders höflich zu sein und sich auf der verbalen Ebene explizit auszudrücken. «Etwa bei Konflikten deutlich zu sagen: ‹Oh, Entschuldigung! Tut mir leid.›» Und was immer noch gehe, sei Humor und lautes Lachen: «Das hört man auch unter der Maske.»
Mehr Höflichkeit und Humor: Auch ohne Maskenpflicht würde das die Kommunikation im Alltag oft erleichtern.