Eine Frau aus Mainz mischt im 9. Jahrhundert die katholische Kirche auf. Nach der Schulzeit in einem Frauenkonvent in England studiert sie als Johannes Anglicus Philosophie in Athen, wandert in der Kurie in Rom nach oben und wird im September 855 zu Papst Johannes VIII. gewählt.
Das geht so lange gut, bis sie drei Jahre später auf offener Strasse ein Kind zur Welt bringt und von der aufgebrachten Menge erschlagen wird.
Fesselnde Fiktion?
«Die Studierenden sind begeistert von dieser Geschichte», erzählt Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte an der Universität Luzern. «Sie haben den Roman von Donna Cross gelesen oder dessen Verfilmung von Sönke Wortmann gesehen.» Ihre Begeisterung sei nachvollziehbar, denn es sei eine gute Geschichte.
Wäre die Geschichte wahr, müsste man die Kirchenhistorie neu schreiben, sagt die Theologin Jacqueline Straub.
Die Quellen sind dürftig
«Aber sie ist nicht wahr», sagt Cornel Dora, der Stiftsbibliothekar von St. Gallen. Dagegen spreche, dass die Geschichte der Päpstin erst im 13. Jahrhundert niedergeschrieben wurde, fast 400 Jahre später also und in einer Zeit, die von grosser Fabulierlust geprägt war.
«Ältere Quellen gibt es nicht», sagt Cornel Dora. «Vielleicht hat man damals die Geschichte ins 9. Jahrhundert zurückdatiert, weil dieses im 13. Jahrhundert bereits sehr weit weg war.»
Ein kurzer Auftritt
Im Jahr 1479 – fast 600 Jahre später – taucht Papst Johannes VIII. tatsächlich in der Chronik des Vatikans auf. Nach der Reformation verschwindet dieser jedoch wieder und fehlt bis heute auf der Ahnentafel der Päpste im Petersdom.
Ist das der Beweis? Archäologe Michael Habicht meint, es könnte sein, dass die Chronisten jener Zeit auf Dokumente zurückgreifen konnten, die heute verloren sind. «Die müssen zum Schluss gekommen sein, dass Johanna existiert haben muss. Warum sollten sie sie erfinden?»
Männlich geprägte Kirche
Vielleicht gab es sie tatsächlich, meint die britische Theologin Francesca Stavrakopoulou. Schliesslich hätten Frauen im frühen Christentum mehr zu sagen gehabt als heute: «Vor 2000 Jahren besassen Frauen wichtige religiöse und rituelle Rollen in ihren Gemeinschaften.»
Aber als die Kirche wuchs, organisierter und hierarchischer wurde, habe auch die patriarchale Prägung zugenommen: «Frauen wurden zunehmend marginalisiert.»
Seither können nur Männer Priester, Kardinal oder Papst werden. «Es gibt viele Männer im Vatikan, die haben Angst vor Frauen. Sie haben generell Angst vor Reformen und dementsprechend blockieren sie, wo immer es auch geht», sagt Theologin Jacqueline Straub. Sie möchte selbst gerne katholische Priesterin werden. Das ist bekanntlich unmöglich. Aber vielleicht nicht für immer.
Die römisch-katholische Kirche hinkt hinterher
«Pfarrerinnen sind in der reformierten, der christkatholischen, der anglikanischen Kirche normal. Selbst der Rotary-Club nimmt inzwischen Frauen auf. In der römisch-katholischen Kirche ist man noch nicht so weit, sie hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher», sagt Markus Ries.
Deshalb hielten sich Mythen wie jene über eine angebliche Päpstin Johanna so hartnäckig. Es mag nur eine gute Geschichte sein, aber gute Geschichten überlebten immer.