«Ja, es war wie eine Schuld, einen Ausländer geheiratet zu haben, für die ich büssen musste»: Manche Schweizerin dürfte dieses Gefühl zeitlebens nicht losgeworden sein. Die diffuse Schuld bezog sich darauf, durch die Wahl eines ausländischen Manns das Vaterland verraten zu haben.
In ihrem Buch «Die verlorenen Töchter» schreibt die Historikerin Silke Margherita Redolfi, was mit Schweizerinnen passierte, die durch Heirat den roten Pass verloren.
Der Grund: Das Bürgerrecht der Frau war an den Mann gekoppelt. Sie übernahm bei der Heirat automatisch das Bürgerrecht des Mannes und verlor ihr eigenes.
Dies galt auch bei Ehen mit Ausländern. Im Gegensatz dazu behielten Schweizer Männer die Staatsbürgerschaft in jeder Lebenslage – ausser sie wurden wegen Landesverrats ausgebürgert oder verzichteten aus freien Stücken darauf.
Fremde im eigenen Land
Anhand vieler tragischer Schicksale rollt die Autorin ein kaum bekanntes Kapitel der Schweizer Rechtsgeschichte auf. Frauen, die mit einem ausländischen Ehemann in der Schweiz lebten, wurden samt den gemeinsamen Kindern zu Fremden gestempelt.
So bedauerte zum Beispiel eine Betroffene: «Die Heimat meines Gatten habe ich nie betreten, und unser Bub wird einmal nicht verstehen können, warum er nicht Schweizer sein darf.»
Die Ausbürgerung hatte für die Frauen gravierende Folgen: Heirateten sie etwa einen polnischen Internierten, bekamen sie dessen Flüchtlingsstatus aufgedrückt. Lehrerinnen mussten nach dem Verlust der Schweizer Staatsbürgerschaft den Schuldienst quittieren. Wenn sie arm oder krank wurden, konnten sie nicht auf soziale Unterstützung zählen.
Dies passierte einer Schweizerin aus dem Kanton Glarus, die einen Italiener geheiratet hatte, aber auf sich allein gestellt war und als nicht existenzfähig galt: «Sie wurde im Krieg 1942 an die Schweizer Grenze gestellt mit zwei Kindern. Es hiess: ‹Die Frau liegt uns auf der Tasche.› Sie hatte noch nie in Italien gelebt und kannte das Heimatland ihres Mannes nicht», stellt die Historikerin Silke Margherita Redolfi fest.
Ausgebürgert in den Tod geschickt
Zum eigentlichen Verhängnis wurde die Heiratsregel für jene ausgebürgerten Frauen, die während des Zweiten Weltkriegs in die Heimat zurückkehren wollten, um sich hier in Sicherheit zu bringen: Jüdinnen, die vor den Nationalsozialisten auf der Flucht waren, aber mit tödlichen Folgen von ihrer alten Heimat abgewiesen wurden.
Auch für Mütter, die mit ihren Kindern im Deutschen Reich ausgebombt worden waren, gab es kein Zurück. Die Historikerin macht deutlich, wie Behördenmacht, Armenpolitik und geschlechtsspezifische Ausgrenzung und Flüchtlingspolitik ineinandergriffen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Folgen dieser Diskriminierung sichtbar. Viele Familien in der Schweiz waren davon betroffen, dass ihre Töchter und Enkel das Kriegsgebiet nicht hatten verlassen können. Trotzdem versuchten die konservativen Parteien im Parlament bei der Reform der Bürgerrechte, die Heiratsregel in das neue Bürgerrechtsgesetz hinüberzuretten.
Frauen-Lobby im Bundeshaus
Doch da trat eine Allianz vom Bund Schweizerischer Frauenorganisationen und dem katholischen Frauenbund auf den Plan: «Die Frauenverbände waren sofort alarmiert, sie machten das Thema öffentlich», sagt Silke Margherita Redolfi.
Zusammen mit namhaften Juristinnen wie Lotti Ruckstuhl und progressiven Staatsrechtlern führten sie eine beispiellose politische Kampagne für ein frauenfreundlicheres Bürgerrecht.
Die Frauen gingen mit einem Schlachtplan im Bundeshaus ein und aus. Sie führten eine Liste, welche Parlamentarier als Türöffner dienen sollten und welche besonders intensiv bearbeitet werden mussten. Sie brachten ihre Expertise in die vorberatenden Kommissionen ein und besetzten während den Beratungen im Parlament die Tribüne.
Reformiertes Bürgerrecht
Der Einsatz hatte sich gelohnt: Das reformierte Bürgerrecht trat im Januar 1953 in Kraft. Nun konnten Frauen auf dem Standesamt erklären, ob sie Schweizerinnen bleiben oder die Staatsbürgerschaft ihres ausländischen Manns annehmen wollten.
Zudem konnten sich Frauen, die den Schweizer Pass durch Heirat verloren hatten, wieder neu einbürgern lassen. Allerdings mussten sie dafür vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement und der Bundesanwaltschaft für «würdig» befunden werden.
Frauen, die offen mit den Nationalsozialisten sympathisiert hatten oder als politisch engagierte Kommunistinnen registriert waren, moralisch aneckten, weil sie aussereheliche Kinder hatten, im Konkubinat lebten oder als Prostituierte galten, wollte man nicht – trotz der gelockerten Heiratsregel.