Eine Kindheit, wie Philosoph Omri Boehm sie erlebte, wünschen sich viele. «Ich wuchs in einer Gemeinschaft in Galiläa auf. Die ersten sieben Jahre lebten wir in Wohnwagen. Fast alle Bewohner waren Ashkenazi, also europäische Juden, und die meisten waren sehr links.»
Galiläa liegt im Norden Israels. In der Umgebung gab es auch arabische Dörfer. «Wir haben mit den Kindern von dort gespielt», erzählt Boehm. «Ich habe mir nicht viel dabei gedacht. Dass etwas falsch läuft, habe ich erst nach meinem Militärdienst kapiert.»
Ziel: die Judaisierung des Landes
Boehms Dorf war eines von vielen, die ab den 1970er-Jahren gegründet wurden, um die Judaisierung Galiläas voranzutreiben.
Während des Unabhängigkeitskriegs, der im Mai 1948 zur Gründung des Staates Israel führte, wurden die ursprünglich palästinensischen Bewohner zur Flucht aufgefordert und ihre Dörfer zerstört. Auf einigen wurden Wälder gepflanzt, auf anderen Siedlungen für die aus Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten einwandernden Juden errichtet.
«Jüdisch und demokratisch» geht nicht
«Dass bei uns keine Araber wohnen durften, war Teil der offiziellen Politik, die bis heute Juden bevorzugt. Jüdisch und demokratisch, nennt dies die Regierung.» Aber ein Staat könne nicht Angehörige einer Religion oder Ethnie bevorzugen und sich gleichzeitig demokratisch nennen.
«Wahre Gleichberechtigung für alle gab es nie. Dabei wollten führende Zionisten wie Theodor Herzl, David Ben-Gurion oder Ze’ev Jabotinsky genau das, einen Staat für alle, zumindest am Anfang.»
Boehm greift diese Idee auf und entwickelt das Modell eines binationalen Staats, in dem sich sowohl Jüdinnen als auch Palästinenser autonom organisieren, aber einer gemeinsamen Verfassung unterstehen. Kirche und Staat sind getrennt.
Räumlich getrennt würden die Staatsangehörigen allerdings nicht: Es sei illusorisch, dass die inzwischen über 600'000 Jüdinnen und Juden, die Israel seit 1967 im besetzten Westjordanland wohnen lässt, je umgesiedelt würden, so der Philosoph.
Eine Heimstätte für alle
Omri Boehms Idee eines binationalen Staats erinnert an die aktuelle Verfassung von Belgien oder an den 2004 von der griechisch-zypriotischen Mehrheit verworfenen UN-Friedensplan für das geteilte Zypern.
Es sei eine Idee, ein Vorschlag, eine Utopie gar: «Keiner wird mit meinen Ideen im Herbst Wahlkampf für die Knesset machen», lacht Boehm bitter. Die israelische Linke sei tot, und die rechten Parteien würden immer radikaler, viele Politiker seien offen rassistisch.
Die Spirale der Gewalt dreht sich
«Es ist schlimm genug, dass Hetze gegen Araber normal geworden ist, neu ist, dass einige Politiker auch «illoyale» Juden ausbürgern wollen», erzählt Boehm. So drehe sich die Spirale der Gewalt immer schneller.
Im Frühling kam es im israelischen Kernland zu Strassenschlachten zwischen Juden und Arabern. «Diese Gangs, die in Ramle, Lod oder Haifa aufeinander losgingen, das war neu, und es ist ein Zeichen, dass es so nicht weitergehen kann.»
Dies sei zwar auch vielen klar, die nicht so dächten wie er, aber die Zeit werde knapp. Man müsse jetzt handeln: «Ich beschäftige mich auch lieber mit Identitätspolitik, mit Immanuel Kant und dem Alten Testament. Aber ich bin nun mal Israeli, und als Israeli ist es mir nicht egal, was mit diesem Land geschieht.»