Mit ihrem Lied «Toy» gewann Netta im Mai den Eurovision Song Contest. Dieses Wochenende ist die israelische Sängerin Stargast auf der Zurich Pride.
Im Interview spricht die 25-Jährige über ihren Glauben. Und warum sie die «Ehe für alle» fordert – nicht nur in der Schweiz, sondern auch im jüdischen Staat Israel.
SRF: Sie sind Stargast auf der Zurich Pride. Sehen Sie sich als Schwulen-Ikone?
Netta (lacht): Ich bin jedenfalls mit Schwulen aufgewachsen. Sie haben mich gepusht. Mein ganzes Team ist eine einzige Gay Community: mein Songwriter, mein Kostümbildner, mein Make-up-Artist, mein Friseur. Sie sollten die gleichen Rechte bekommen wie die Heteros.
SRF: Schwule und Lesben scheinen Ihre Karriere, aber auch Ihren Alltag zu prägen.
Netta: Ja. Was mich besonders berührt hat: Nach einer Show hat mich mein Make-up-Artist zuhause abgeschminkt. Sein Partner hat versucht, die weinende Tochter ins Bett zu bringen, doch das Kind hat weiter geschrien. Dann hat mein Make-up-Artist die kleine Tochter in den Arm genommen. Und mit dem anderen Arm hat er mich weiter abgeschminkt.
Wir brauchen ziemlich schnell einen Sinneswandel.
Das hat mich sehr berührt. Ich dachte mir: Das ist einer der liebevollsten Väter, die ich kenne. Das ist eine Bilderbuch-Familie. Aber warum können die Väter nicht heiraten? Warum haben sie nicht dieselben Rechte wie ich?
SRF: Auch die Schweiz hat keine «Ehe für alle» und kennt kein Adoptionsrecht für Schwule und Lesben.
Netta: Das verstehe ich nicht. Regenbogen-Familien sind ganz normale Familien. Ich respektiere alle Menschen. Aber ich finde, dass wir ziemlich schnell einen Sinneswandel brauchen. Die Rechte von Schwulen und Lesben müssen endlich anerkannt werden.
SRF: Ist eine «Ehe für alle» im jüdischen Staat Israel überhaupt denkbar?
Netta: In Israel haben wir nicht einmal eine standesamtliche Hochzeit, es gibt nur die religiöse. Aber selbst in einem jüdischen Staat sollten Schwule und Lesben heiraten können. Und sie werden es irgendwann können, da bin ich mir sicher.
SRF: Sie haben früher auf Hochzeiten gesungen. Waren das dann religiöse Lieder?
Netta: Nein, eher Lieder von Rihanna und Beyoncé. Das waren tolle Partys. Ehrlich gesagt vermisse ich diese Zeit.
Jüdische Traditionen halten die Familien zusammen.
SRF: Sind Sie ein religiöser Mensch?
Netta: Ich mag meine Herkunft, aber ich bin nicht religiös. Ich halte mich nicht an den Sabbat, aber ich respektiere die Menschen, die das tun. Jüdische Traditionen spielen eine wichtige Rolle – sie halten die Familien zusammen.
SRF: Wie sieht das bei Ihnen zuhause aus?
Netta: Für uns ist der Kiddusch wichtig, wenn wir am Freitagabend zusammensitzen und den Wein segnen. So sehe ich meine Eltern und meine Geschwister jede Woche, was sonst nicht der Fall wäre.
Am wichtigsten jüdischen Feiertag, am Jom Kippur, faste ich den ganzen Tag und benutze kein Handy. Auch das verbindet die Familie, denn wir verbringen den ganzen Tag zusammen und lassen uns nicht ablenken. Ich nutze also religiöse Traditionen, um Zeit mit meiner Familie zu verbringen.
SRF: Ihre Musik, Ihr Outfit, Ihre Performance gleichen einem Cocktail aus vielen Zutaten. Welche Zutaten bringen Sie zur Zurich Pride mit?
Netta: Das ist eine Überraschung. Ich werde etwas Verrücktes tragen. Auch wenn ich weiss, dass man auf der Gay Pride möglichst wenig anziehen soll.
Das Gespräch führte Raphael Rauch.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Blickpunkt Religion, 10.6.2018, 8.08 Uhr