Wie bloss konnte das Internet von einer Vision des freien Austausches für alle zu einem von Tech-Milliardären dominierten Markt werden? Digitalpionier Douglas Rushkoff blickt zurück.
SRF: Sie gehören zu den Vordenkern des Internets als neuer Form der Basisdemokratie. Ist ihr Traum heute ins Gegenteil gekippt?
Douglas Rushkoff: Es bot sich die Chance, dass Menschen zusammenkommen und die unendlichen Möglichkeiten der kollektiven Vorstellungskraft erleben, wie bei einer Love Parade. 40 Jahre später stehen wir nun da, wo wir sind.
Wann haben Sie gemerkt, dass sich grundsätzlich etwas ändert?
Im Jahr 1993 mit der ersten Ausgabe der Zeitschrift «Wired». Da stand: «Es rollt ein Tsunami auf uns zu. Entweder sind Sie darauf vorbereitet, oder Sie werden weggefegt. Ihr Unternehmen wird florieren oder untergehen. Auf diesen Seiten erhalten Sie die Antworten, die Sie brauchen.»
Regierung und Wirtschaft halten sich gegenseitig im Zaum, wie Pilze und Bakterien.
Ich erlebte erstmals, wie das Internet in einem Kontext von Überlebenskampf und Gewinnstreben erschien und nicht als Chance und Spiel.
Wie haben Sie reagiert?
Ich schrieb einen neuen Schluss zu «Cyberia», meinem sehr optimistischen Buch über das Internet. Ich schrieb: «Wir haben ein Zeitfenster, das Internet in unserem Sinn auszugestalten. Andere Kräfte wollen es für sich beanspruchen. Wenn wir die Chance nicht für unsere Zwecke nutzen, wird sie verloren sein.»
Hätte man rascher eingreifen müssen?
Ich mache den jungen Leuten, die bis dahin nur mit Pizza bezahlt wurden, keinen Vorwurf. Endlich klopften Investoren an und boten ihnen 100'000 Dollar für ihre Dotcom-Ideen.
Aber wir erkannten nicht, dass wir mit dem Geld sehr reaktionäre Kräfte aufbauten. Das war keine Revolution, sondern die Nutzung der Technologie, um klassische Businesspläne zu vervielfachen.
Sie waren damals auch gegen staatliche Regulierung.
Wir sahen im Staat den Feind. Die US-Regierung verhaftete jugendliche Hacker, nur weil sie das Netz erforschten. Wir aber wollten spielen.
Sie wissen, dass es Karma gibt. Aber sie glauben, ihm irgendwie zu entkommen.
Wir waren naive Kids auf LSD und ignorierten völlig, dass eine Abschaffung der Regierung eine freie Spielwiese für Unternehmen schuf. Regierung und Wirtschaft halten sich gegenseitig im Zaum, wie Pilze und Bakterien. Wenn man das eine loswird, wuchert das andere.
In Ihrem Buch «Survival of the Richest» schreiben Sie, dass auch ein spezifisches «Mindset» von Figuren wie Mark Zuckerberg oder Elon Musk zu dieser Entwicklung geführt hat. Wie muss man sich dieses vorstellen?
Die Idee ist vereinfacht die, dass man genug Geld verdient und Technologie baut, um der Welt, die man mit Geld und Technologie erschaffen hat, zu entkommen. Die Transhumanen wollen mit einem Raumschiff und einem speziellen Atemgerät zum Mars. Sam Altman und Mark Zuckerberg wollen sich als reines Bewusstsein auf Computer hochladen.
Diese Tech-Milliardäre sagen also: «Wir machen mit dem, was wir tun, die Welt kaputt. Aber wir wenigen werden einen Ausweg finden und diese Wirkungen nicht spüren.»
Ich schöpfe etwas Hoffnung daraus, dass sie offenbar tief im Innern wissen, dass ihr Handeln Folgen hat. Seltsamerweise sind sie sich des Klimawandels stärker bewusst als die meisten von uns. Sie wissen, dass es Karma gibt. Aber sie glauben, ihm irgendwie zu entkommen.
Das Gespräch führte Wolfram Eilenberger.