Was steht auf der Wandtafel? Welche Haltungen und Werte im Schulzimmer und auf dem Pausenplatz bestimmend sind, prägt das spätere Leben von Kindern. Und es ist bildungspolitisch relevant. Deshalb wurden Werte wie Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit im Lehrplan verankert.
Doch welche Werte schreiben die Kleinsten selbst gross? Decken sie sich mit dem, was ihnen die Schule vermittelt? Das untersucht derzeit eine breit angelegte Langzeitstudie des Schweizerischen Nationalfonds.
Was ist Kindern wichtig?
Zwei Jahre lang reiste ein Forschungsteam in der Deutschschweiz von Schule zu Schule. In rund 100 Klassen wollte das Forschungsteam von den befragten 1200 Kindern zwischen fünf und neun Jahren erfahren, was ihnen im Leben wichtig ist.
Da Kinder in diesem Alter erst mit dem Lesen beginnen, wurde die Befragung mit Bildkarten durchgeführt. Je zwei solcher Karten zeigen eine Szene, die für einen bestimmten Wert steht – wie zum Beispiel Tradition oder Selbstbestimmung. Die Kinder hatten die Aufgabe, die Bilder nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren.
Zwei Bildkarten zeigen beispielsweise den Wert «Wohlwollen». Sie sprechen den Wunsch an, dass es anderen Menschen gut geht. Auf einer Karte ist ein Kind abgebildet, das vom Fahrrad gestürzt ist und von einem anderen beim Aufstehen unterstützt wird. Auf der anderen Karte ist eine Szene zu sehen, in der einem Kind ein Geschenk überreicht wird.
Kinder wollen anderen helfen
Die Auswertung zeigt: Kinder setzen das Ziel, anderen Gutes zu tun, an die Spitze der Wertehierarchie. An zweiter Stelle folgt der Wert Sicherheit. Dargestellt wird er auf einer Bildkarte mit einem Haus, in dem ein Kind vor stürmischem Wetter Zuflucht findet.
Aus der Analyse geht auch hervor, dass die Reihenfolge der wichtigsten Werte von Kindern von jener von Erwachsenen radikal abweichen kann. Ganz an das unterste Ende der Skala setzten die Kinder nämlich den Wert Macht: «Sozialer Status, Prestige und Autorität scheinen für sie noch nicht so wichtig zu sein», sagt Thomas Oeschger vom Forschungsteam.
Symbolisiert wird der Wert Macht mit einem Bild, das eine Königin oder einen König zeigt: «Dazu haben wir das jeweilige Kind gefragt, ob es ihm wichtig sei, im Leben reich und mächtig zu sein.»
Dass dies gemäss der bildungswissenschaftlichen Studie nicht der Fall ist, mag erstaunen. Schliesslich wimmelt es in Kinderbüchern nur so von einflussreichen Prinzessinnen und mächtigen Helden. Der Befund decke sich jedoch mit Vergleichsstudien, so Thomas Oeschger. Neben der Schweiz werden zum Vergleich auch in Grossbritannien Daten erhoben.
Wie werden Leitlinien umgesetzt?
Besonders beeindruckend war für das Forschungsteam, sagt Thomas Oeschger, dass viele Kinder bereits im frühen Alter von fünf bis neun Jahren eine klare Vorstellung davon haben, was ihnen im Leben wichtig ist. Und auch schon erkennen, dass sich einzelne Werte wie Wohlwollen und Macht ausschliessen können.
Eine erste Analyse der Daten zeigt, dass die Werte, die den jüngsten Schulkindern am bedeutendsten sind, sich weitgehend mit den Leitlinien des Lehrplans decken. Doch wie fliessen diese Werte in die Leitbilder der Schulen ein? Und wie werden sie in Unterricht und Alltag im Klassenzimmer umgesetzt? Diese Fragen will das Forschungsteam in einem zweiten Teil der Auswertung beantworten.