Grundsätzlich hinterfragt wird sie selten: Die Ehe zwischen Mann und Frau, aus der meist die heterosexuelle Kernfamilie hervorgeht, ist immer noch die zentrale gesellschaftliche Institution. Die Ehe steht für «Normalität».
Gefahren des scheinbar Normalen
Aber ist das allgemein Akzeptierte wirklich auch das Gute? Mit Blick auf die Statistik weist Emilia Roig auf die hohen Zahlen von – fast ausschliesslich männlicher – Gewalt in der Familie hin. Zeigen diese nicht, dass die Institution an sich problematisch und sogar gefährlich ist?
Auch wenn die patriarchale Unterdrückung längst nicht mehr so im Recht verankert sei wie vor Jahrzehnten, sei sie deshalb keineswegs verschwunden. Von der Popkultur bis zur Politik werde ein romantisches Skript vermittelt. Es lege die Ehe als Modell nahe, in dem emotionale Erfüllung zu finden sei, angefangen mit dem sogenannten «schönsten Tag im Leben».
Ungleiche Aufgabenverteilung
Faktisch befördere die Ehe aber hohe Ungleichheit. Die Teilzeitarbeit, vor allem die ungeheure Menge an unbezahlter Fürsorgearbeit, die Männern den Rücken freihält, ist eine Stütze des Kapitalismus. Ohne sie würde dieser von jetzt auf gleich zusammenbrechen.
Frauen lernen die Verpflichtung zu Care-Arbeit zusammen mit dem romantischen Skript. Es kostet viel, sich dem zu widersetzen. Nicht zuletzt aus der Erfahrung ihrer eigenen Ehe weiss die 39-Jährige, wie schnell es Verurteilungen nach sich zieht, wenn eine Frau die für Frauen vorgesehenen Aufgaben nicht übernehmen will. Dann ist etwa von der «Rabenmutter» die Rede.
Neue Zeiten, alte Normen
Emilia Roig baut mit ihren Gedanken auf den Errungenschaften zahlreicher Feministinnen auf, die sie auch vielfach zitiert: bell hooks, Andrea Dworkin oder Shulamith Firestone.
Als Kind ihrer Zeit wendet sie ihre Kritik an der klassischen Ehe auf die non-binäre Welt an. Es könne auch in der queeren Welt nicht das Ziel sein, Gleichstellung mit den heterosexuellen Normen zu erreichen. Die Ehe als Institution berge viel zu grosse Gefahren der Unterdrückung.
So wie das Patriarchat subtiler geworden ist, zeigt sich auch das Leiden an ihm oft schwer fassbar: als psychische und physische Last, die Frauen sich oft nicht selbst eingestehen, und über die sie zu wenig sprechen.
Gesucht: Krise der Männlichkeit
Männer, die das Patriarchat tragen, müssten viel schonungsloser kritisiert werden, findet Emilia Roig. Sie beschreibt, wie oft einzelne «gute» Männer zur Ausnahme erklärt würden, obwohl sie das System mittrügen.
Stattdessen sei eine «Krise der Männlichkeit» vonnöten. Damit meint Roig nicht nur eine Hinterfragung der Rollenbilder von Mann und Frau, sondern eine Veränderung des Konzepts von Männlichkeit. Nicht mehr Beherrschung und Ausbeutung dürften das Konzept bestimmen, denn dies bedingt immer auch Unterwerfung.
Nicht nur ein Modell fördern
Eine «Revolution der Liebe», von der im Untertitel des Buches die Rede ist, könne es nur ausserhalb einer normativen Institution wie der Ehe geben. Der Staat solle mit der Ehe nicht nur ein einziges Modell des Zusammenlebens unterstützen, sondern jegliche Form von Community fördern.
In der Liebe geht es, erklärt Roig, um Freiheit und um Beziehungen auf Augenhöhe. Dafür sei die Abschaffung der Ehe ebenso nötig wie eine Neuordnung der Versorgungsarbeit, an der alle in gleicher Weise mitwirken müssen.