Man kann sprechen, mit wem man will: Wer den Namen Friedrich Nietzsche kennt, kennt mit grösster Wahrscheinlichkeit auch den Satz «Gott ist tot». Ein Satz, der Kult geworden ist, und gar ein Eigenleben entwickelt hat.
Dabei: Nietzsche selbst hat diesen Satz nicht geäussert. Aber die Aussage lässt sich etwa in seinem Werk «Die fröhliche Wissenschaft» von 1882 nachlesen. Darin hat Nietzsche eine Parabel niedergeschrieben, in der er die Figur des «tollen Menschen» auftreten lässt.
Dieser ruft: «Wohin ist Gott?» Und dann: «Ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet, – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder!» Schliesslich verkündet dieser gar: «Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besass, es ist unter unseren Messern verblutet.»
Inhaltslose Werte
Mit dem «tollen – also verrückten – Menschen» skizziert Nietzsche die Vision einer Welt, die, einmal aus ihren Angeln gehoben, zu schlingern beginnt. Bei Nietzsche ist mit «Gott» meist der Glaube des jüdisch-christlichen Monotheismus gemeint.
Eine paradoxe Ausgangslage, die Nietzsche hier also zeichnet: Wie sollte der endliche Mensch einen allmächtigen Gott töten können?
Mit seiner Parabel beschreibt Nietzsche, was er als Grundkrise der damaligen Gesellschaft sieht: Die Werte der Gesellschaft haben ihren Inhalt verloren, für die Lebenswelt der Menschen haben sie also keine Gültigkeit mehr. Gott als oberster Garant der Werte ist damit obsolet geworden.
Nietzsche konstatiert den Nihilismus
Wenn Nietzsche den «Tod Gottes» diagnostiziert, dann meint er damit unter anderem ein soziologisches Phänomen: Die Menschen haben Gott durch ihre Lebensführung vernichtet und niemand hat es bemerkt.
Kurz gesagt: Nietzsche konstatiert den Nihilismus als Zustand der damaligen Zeit. Das ist der zentrale Nerv von Nietzsches Argumentation: Er wehrt sich gegen die nihilistische, gegen die verneinende Kultur, die er auch im Christentum und Werten wie Milde, Nächstenliebe oder Demut am Werk sieht.
Kritik an christlichen Werten
Nietzsches scharfe Zivilisationskritik trifft zum Ende des 19. Jahrhunderts auf Resonanz und fruchtbaren Boden, der genährt ist aus den Elementen des Darwinismus, des Materialismus und des bürgerlichen Fortschrittsglaubens.
Es ist nicht so, dass Nietzsche in seiner Diagnose nur alles zermalmen würde. Mit seiner Dekonstruktion fordert Nietzsche zugleich auf, neue und tragfähige Werte zu schaffen.
In vielerlei Hinsicht wendet er sich dabei von den christlichen Werten ab, kritisiert diese scharf. So rücken für Nietzsche stattdessen Ideale wie Schaffenskraft, Härte und Vitalität ins Zentrum.
Ein Gott der Ekstase
Diese Ideale münden bei ihm in die Verherrlichung eines zugleich neuen und alten griechischen Gottes, nämlich Dionysos. Ein Gott der Ekstase, ein Gott, der tanzt, ein Gott des ewigen Werdens und der ewigen Wiederkunft.
Noch bis zum Ende seines bewussten Lebens, als Nietzsche in die geistige Umnachtung abrutschte, versandte er sogenannte «Wahnsinnszettel». Auch darin stilisierte er den Kontrast «Dionysos gegen den Gekreuzigten», also Jesus.
Unter anderem aus Nietzsches beinahe manischer Beschäftigung mit dem Thema Religion schliessen einige Forscher, dass er nie ganz von Gott loskam, sondern Gott nur neu für sich gewann.
Deshalb ist Vorsicht geboten, vom Satz «Gott ist tot» darauf zu schliessen, Nietzsche sei ein kruder Atheist gewesen. Nietzsches Verhältnis zu Gott war einiges komplexer.