Mit den Problemen ihrer römisch-katholischen Kirche hält sich Andrea Meier nicht auf. Die 39-Jährige will gestalten und anpacken. Sie ist Theologin und Geschäftsführerin der Offenen Kirche Bern.
Die Begegnung mit Andrea Meier hat etwas von einem Sturm. Sie sprudelt förmlich, ihre Worte überschlagen sich fast. Es scheint, als sei sie mit einer Energie ausgestattet, die für mehrere Menschen reichen würde.
Darum liebt sie es, bei der Offenen Kirche Bern zu arbeiten. «Ich stelle gerne richtig grosse Aktionen auf die Beine», sagt Meier, die auch als SRF-Radiopredigerin arbeitet.
«Hier kann ich theologisches Nachdenken mit Zupacken verbinden.» Also Tische raustragen, Bänke schleppen, Freiwillige koordinieren.
Besucherzahlen verdoppelt
Etwa 170 Partnerorganisationen habe die Offene Kirche Bern, erzählt Andreas Nufer, der als reformierte Pfarrer für sie arbeitet. «Seit es die Offene Kirche gibt, steigt die Nachfrage. Seit Beginn im Jahr 1999 haben sich die Besucherzahlen verdoppelt», so Nufer.
Mitten in der Innenstadt zu sein, sieht er als Chance. Besonders gut kämen unerwartete Aktionen an, die Spiritualität und Gesellschaftsthemen verbinden. «So wie die Brücke, die vom Bahnhofplatz mitten in die Kirche führt», sagt der Pfarrer.
Diese grosse Holzbrücke war Teil der Aktion «Beim Namen nennen», die an Menschen erinnert, die auf der Flucht nach Europa gestorben sind. Die Brücke war Kunstinstallation und Statement zugleich, sagt Andrea Meier: «Alle diese Menschen sind einen sinnlosen Tod gestorben. Mit der Hilfe sicherer Fluchtwege hätten sie hierhergelangen können.»
Urchristlicher Aktivismus
In der Kirche gibt’s aber auch Musik, Kunst, Kultur. Die Agenda ist reich gespickt mit verschiedensten Angeboten. Da braucht es viele Freiwillige, um so viel zu stemmen. «Wir nehmen uns gerne Projekte vor, die wir allein gar nicht schaffen können», erklärt Meier.
An Heiligabend zünden sie zum Beispiel 10'000 Kerzen auf dem Bahnhofplatz an oder bauen eine grosse Krippe auf. Das könne jeder, man müsse nicht erst etwas Bestimmtes glauben. Dennoch entstehe über das Tun Gemeinschaft.
Die Offene Kirche Bern arbeitet mit der Foodwaste-Bewegung zusammen, mit den Klima-Grosseltern, und sie vernetzt sich mit verschiedenen Aktivistinnen aus Bern. Die Themen der aktivistischen Szenen seien auch ihre, so Meier. Schliesslich seien diese urchristlich.
«Wenn es Sparmassnahmen gibt, müssen wir sagen: Das ist nicht ok! Es trifft die Ärmsten», sagt die Theologin. Vor der Frontex-Abstimmung positionierte sie sich mit Foto und Statement dagegen, weil sie fand: «Es sterben Menschen an den Aussengrenzen Europas, weil wir dafür Geld geben.»
Die Offene Kirche Bern sei auch ein Experimentierfeld für die Frage, was Kirche heute sein könne, meint Meier. Denn die Volkskirchenzeit neige sich dem Ende zu. Das könne man betrauern – spannender sei jedoch die Frage, wie «die Geschichte Gottes mit den Menschen» jetzt weitergehe.
Wichtig ist Meier und Nufer, sich für «Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung» einzusetzen. Das sind schon lange Anliegen der weltweiten ökumenischen Bewegung, leider aktueller denn je.
Christentum dürfte Kirchen überleben
Dass es die Institution Kirche einmal nicht mehr geben könnte, hält die Theologin für ein realistisches Szenario. Zu wenig würden die tiefgreifenden Probleme angegangen.
Doch um das Christentum macht sie sich keine Sorgen. Die biblischen Geschichten seien so stark, dass sie überleben werden, davon ist die aktivistische Theologin überzeugt.