«Ich habe mir oft Vorwürfe gemacht», sagt die 20-jährige Schulabbrecherin Fab. Nach dem Gymnasium hat sie letzten Herbst auch ihre Ausbildung an einer Fachmittelschule abgebrochen.
Den Anschluss ans Erwachsenenleben habe Fab, die nicht mit vollem Namen genannt werden möchte, aus Überforderung mit dem Schulstoff und ihren Lebensumständen als Vollwaise nicht geschafft. Trotz sozialpädagogischer Begleitung kämpfte sie mit Motivationsproblemen, schwänzte oft die Schule. «Ich hätte meine persönlichen Probleme weniger ins Zentrum stellen sollen. Heute weiss ich, dass die niemanden interessieren.»
Mehr Betroffene in den Städten
Menschen wie Fab werden in der Amtssprache «Jugendliche ausserhalb des Bildungssystems» genannt. Betroffen sind laut Bundesamt für Statistik (BFS) 6.8 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, schweizweit sind das bis zu 42‘600 Personen.
Ihre Perspektive auf dem Arbeitsmarkt sei stark eingeschränkt, die Integration in die Gesellschaft gefährdet, schreibt das BFS. Im europäischen Vergleich steht die Schweiz mit diesen Zahlen zwar gut da. In Städten wie Lausanne, Genf oder Basel beträgt der Anteil jedoch bis zu zehn Prozent.
Christoph Walter hat als Berater bei der Jugendberatungsstelle «JuAr» Basel oft Kontakt mit Betroffenen. Häufig seien es Kandidaten zwischen Temporärarbeit, RAV und Sozialhilfe, die Mehrfachproblematiken mit sich bringen, sagt er.
Das sind etwa Flüchtlinge, Armutsbetroffene, verschuldete Jugendliche mit chronischen oder psychischen Erkrankungen wie ADHS oder anderen Neurodiversitäten, ehemalige Heimkinder – aber auch Jugendliche aus weniger prekären Haushalten mit dysfunktionalen Familienverhältnissen.
Die Volksschule in der Pflicht
«Wir brauchen einfach mehr Zeit», sagt der 19-jährige Lehrabbrecher Leonard. Seine Anlehre als Koch sowie seine darauffolgende Maurerlehre hätten nicht zu ihm gepasst. Dazu wurde er in der Berufsschule gemobbt und hatte Mühe mit seinem Lehrmeister.
Als Sechsjähriger wurde bei ihm ADHS diagnostiziert, im Teenager-Alter ein Tourette-Syndrom. Trotz Lernschwäche schaffte Leonard den Realschulabschluss, scheitert nun jedoch bei der Lehrstellensuche. Ihm fehlen die Qualifikationen. «Die Krankheiten spielen eine Rolle. Aber auch, was ich aus meiner Ausgangslage gemacht habe.»
Gründe für das Scheitern vieler Jugendlicher am Übergang zur Sekundarstufe II finden sich auch im neusten PISA-Bericht. 15 bis 20 Prozent der Lernenden verlassen die obligatorische Schule demnach mit ungenügenden Kompetenzen.
Die Hälfte schafft den Wiedereinstieg
Vier bis fünf Schülerinnen oder Schüler pro Klasse seien noch nicht bereit für eine Lehre oder weiterführende Schule. Die Volksschule stünde deshalb in der Pflicht, Schwächere und Benachteiligte besser zu fördern, fordert der «Bildungsbericht Schweiz» des Bundes.
Dass die Wiedereingliederung gelingen kann, zeigt das Beispiel von Fab: Die Schulabbrecherin hat dank professioneller Beratung und sozialpädagogischer Betreuung schnell eine Lehrstelle gefunden. Das gelingt rund der Hälfte der Betroffenen.
Lehrabbrecher Leonard steht hingegen für die andere Hälfte: Unbegleitet arbeitet er nun in einem Temporärjob und steht weiterhin «ausserhalb des Bildungssystems».