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Oprah Winfrey Fünf Facetten eines Faszinosums

Der Hype um Oprah Winfrey ist gewaltig nach ihrer Rede bei den Golden Globes. Wer ist die Frau, die bereits als nächste amerikanische Präsidentschaftskandidatin gehandelt wird?

Google findet derzeit 1.7 Millionen Einträge, wenn man nach «Oprah Winfrey President» sucht. Das ist gut 36 Stunden nach einer Rede eine erstaunliche mediale Resonanz.

Die Rede war grossartig: rhetorisch, von der Glaubwürdigkeit und vom Engagement her. Und sie kam zum richtigen Zeitpunkt. Dass Winfrey nach der Verleihung gefragt wurde, ob sie 2020 als Präsidentin kandidieren wolle, sagt etwas über die Stimmungslage im zerrissenen Trump-Amerika.

Aber wer ist Oprah Winfrey?

Die Talkmasterin

Sie kommt von ganz unten. Oprah Winfrey wird als uneheliches Kind minderjähriger Eltern geboren, schwierige Verhältnisse, sie wird als Kind, nach eigener Auskunft, missbraucht.

Später arbeitet sie in der Medienbranche, beginnt als Moderatorin und ist erfolgreich. Ihre Talkshow ist so erfolgreich, dass sie nach ihr umbenannt wird: «Oprah».

Winfrey befragt die, welche der amerikanische Traum vergessen hat. Und sie spricht all das an, was im glamourösen Teil der Fernsehformate keinen Platz hat: sexuellen Missbrauch, innerfamiliäre Gewalt, Alkoholismus, Armut.

Aber nicht nur die Schattenseite Amerikas ist ihr Thema. Sie lädt auch die von der «Sunny Side of the Street» ein: die Reichen, Schönen, Erfolgreichen. Und sie kommen.

Die Unternehmerin

«Oprah» ist die erfolgreichste Talkshow des US-amerikanischen Fernsehens. Aber das reicht Oprah Winfrey nicht. 2011 gründete sie ihren eigenen Pay-TV-Kanal: OWN. Die Abkürzung für Oprah Winfrey Network. Die drei Buchstaben sind mehr als ein Kürzel. OWN heisst eigen, besitzen. In Grossbuchstaben.

Wie wichtig ihr diese Selbstbestimmung als Mensch, als Frau, als Afroamerikanerin ist, wurde auch jetzt bei der Golden-Globe-Rede deutlich. Aber dieser Anspruch an die Gleichberechtigung von Glück reicht weiter zurück.

2013, bei der Abschlussfeier des Spelman College sagte sie, gewandt an die weiblichen Abgängerinnen, zusammengefasst übersetzt: «Ihr geht jetzt in den Beruf hinaus und sie werden das Klackern eurer Absätze hören und sagen: ‹Du hast aber schöne Schuhe, schöne Haare, schöne Hände›. Aber deswegen habt ihr es nicht geschafft, sondern weil ihr intelligent und stark seid. Vergesst das nie.»

Die Philanthropin

Winfrey ist heute 63, charismatisch, rhetorisch beschlagen, ihre Reden haben Gospel-Züge. Sie besitzt ein geschätztes Vermögen von 2.7 Milliarden US-Dollar. Sie gilt als Philanthropin, allein 2005 soll sie 300 Millionen US-Dollar gespendet haben.

In Südafrika hat sie ein Jahr zuvor eine Führungsakademie für Frauen gegründet und 40 Millionen investiert. Manchen ist sie dennoch zu umtriebig, zu erfolgreich. Dass sie für Starbucks noch einen Tee unter ihrem Namen kreiere, geht Kritikern denn doch zu weit.

So wird auch ihr Einfluss auf die Medien kritisch gesehen: Sie besitze eine Machtstellung, man komme förmlich nicht an ihr vorbei. Der deutsche Autor Bernhard Schlink weiss, wie gross ihr Einfluss ist. Oprah Winfrey hielt einmal den Buchdeckel seines Romans «Der Vorleser» in die Studiokamera – Schlink landete auf Platz 1 der «New York Times»-Bestenliste.

Die Seelsorgerin

Bill Clinton präsentierte in ihrer Show seine Autobiografie, Lance Armstrong gestand dort sein jahrelanges Doping, Tom Cruise sprang bei ihr auf dem Sitzmöbel herum, um zu illustrieren, wie verrückt er nach seiner Frau sei. Und hinterliess einen bleibenden Eindruck. Oprah Winfrey, das ist die Frau, bei der alle auspacken. Und das vor laufender Kamera! Wie geht so etwas?

Patrick Rohr hat das in einem Beitrag von Glanz & Gloria einmal so beschrieben: Winfrey urteile nicht, sie verurteile nicht, sie frage, offen und höre zu. Sie sei «mütterlich streng» und man könne bei ihr «sein Herz ausschütten».

Und das scheint ein Charakterzug oder eine Gabe von Winfrey zu sein: zuhören, nicht verurteilen, integrieren statt ausgrenzen, annehmen statt verstossen. Sie hat in ihrer Golden-Globe-Rede den Nerv zumindest eines grossen Teils von Amerika getroffen.

Sie hat die Geschichte einer Afroamerikanerin erzählt, die in jungen Jahren von sechs Weissen vergewaltigt wurde und nie darüber gesprochen hat. Das müsse ein Ende haben: «Time’s up». Und sie verspricht der jüngeren Generation, dass es jetzt ein Ende hat und neue Zeiten anbrechen werden.

Die Visionärin

Winfrey entwirft am Schluss eine Vision eines Amerikas ohne Unterdrückung. Und sie meint damit wohl nicht nur Schwarze und Frauen – sondern alle. Ihre Rede erinnert rhetorisch und von der Dramaturgie her frappant an die grosse Rede Martin Luther Kings, der denselben Tag versprach, an dem die Unterdrückung ein Ende haben werde.

Winfrey gibt Amerika am Schluss eine Vision und einen Mythos. Und sie löst neu ein, wofür sie Barack Obama bereits 2010 auszeichnete: «Sie bringt uns näher zusammen, nicht als Amerikaner, sondern als Menschen.»

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