Zum Inhalt springen

Philosophie des Eigentums «Wer immer mehr will, ist nicht autonom, nur Sklave seiner Gier»

Für manche ist Teilen der Schlüssel zur Nachhaltigkeit. Andere plädieren für Besitzlosigkeit bis hin zu Enteignungen. Wieder andere könnten nicht ohne ihre Besitztümer sein. Wann ist meins meins – und was, wenn mehr unser aller wäre? Der Philosoph Francis Cheneval über das eigentümliche Phänomen «Eigentum».

Francis Cheneval

Philosoph

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Francis Cheneval (*1962) ist Professor für Politische Philosophie an der Universität Zürich. Er war Berichterstatter für Eigentumsrechte beim Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen.

SRF: Sie sagen, von Eigentum zu sprechen sei nur dann gerechtfertigt, wenn man etwas schafft. Wenn ich eine Gitarre baue, gehört mir die Gitarre, aber nicht der Baum, von dem das Holz stammt. Die Zahnpaste, die ich zuhause habe, habe ich nicht selber erschaffen. Ist sie also nicht mein Eigentum?

Francis Cheneval: Die Eigentumsbeziehung zwischen einer Person und einem äusseren Ding stiftet ein Verfügungsrecht der Person über dieses Ding. Das kann ursprünglich nur dadurch begründet werden, dass die Person das Ding neu in die Welt setzt.

Wer einen Song schreibt, verfügt vollständig über diesen Song, kann jede Zeile, jede Note ändern und den Song auch wieder löschen. Werden bei einem Akt der Schöpfung natürliche Dinge verwendet, die nicht künstlich neu erschaffen werden, müssen sie ersetzt oder rezykliert werden, denn sie gehören niemandem, weil sie niemand erschaffen hat. Niemand hat das durch Eigentum begründete Verfügungsrecht über sie. Der für den Gitarrenbau gefällte Baum muss also neu gepflanzt werden.

Es gibt keine absolute Sachherrschaft über natürliche Dinge.

Die Zahnpasta gehört nach diesem Gedanken ursprünglicher Stiftung von Eigentum derjenigen Person, die sie erfindet und in die Welt bringt, wiederum mit der Klausel des Ersetzens oder Rezyklierens der Materialien. Die Zahnpasta gehört mir, falls ich sie dieser Person oder weiteren Personen in einer Handelskette freiwillig abgekauft habe.

Die deutsche Philosophin Eva von Redecker kritisiert die «absolute Sachherrschaft», welche in ein «Kaputtbesitzen» mündet: Was mir gehört, darf ich auch zerstören. Stimmen Sie dem zu oder ist Eigentum auch mit Verpflichtungen verbunden, die ein solches «Kaputtbesitzen» moralisch verbieten?

Es gibt keine absolute Sachherrschaft über natürliche Dinge, die wir nicht erschaffen. Da liegen die Dinge im Argen. Denn gegenüber der Natur haben wir im Rahmen von Eigentumsverhältnissen Erhaltungspflichten.

Über Artefakte dürfen wir aber verfügen. Wobei es gerade eine Folge des Eigentums ist, dass die Besitzenden ein Interesse haben, ihr Eigentum zu pflegen und zu erhalten, also nicht «kaputt zu besitzen». Ein Oldtimer wird meist gehegt und gepflegt und nicht zu Schrott gefahren. Kaputt machen die Menschen meistens Dinge, die jemand anderem oder niemandem gehören.

Dank Eigentum können die negativen Auswirkungen von Dingen und Handlungen jemandem zugeschrieben werden.

Auch sehe ich eine wichtige Funktion des Eigentums: Wo Eigentum ist, wird die Zuschreibung von Haftung und Verantwortung möglich. Die Besitzenden – eine Person oder Gruppe – können zur Verantwortung gezogen werden.

Dank Eigentum können die negativen Auswirkungen von Dingen und Handlungen jemandem zugeschrieben werden. Würde man Eigentum abschaffen, hätte man da keine Handhabe mehr.

Sie wollten als 18-Jähriger Franziskaner-Mönch werden: Was hat Sie angezogen am Ideal der Besitzlosigkeit, an einem Leben ohne Eigentum? Heisst es doch: Nur wer besitzt, ist selbstbestimmt und autonom?

Wer gar nichts hat, kann kein autonomes Leben führen. Mönche haben persönlich kein Eigentum, sie sind jedoch Teil einer Gemeinschaft, die Eigentum besitzt. Im Fall der Franziskaner soll es wenig sein. Autonomie wird also dann erreicht, wenn wir etwas haben und damit zufrieden sind. Wer immer mehr will, ist nicht autonom, sondern Sklave seiner Gier.

Die Armbanduhr meines Vaters würde ich nicht freiwillig hergeben.

Ich bin dann schliesslich nicht Mönch geworden, weil ich zum Schluss gekommen bin, dass ich über zu wenig Spiritualität verfüge, um das anspruchsvolle Leben der Anspruchslosigkeit ohne Heuchelei und Doppelmoral bis ans Lebensende durchzustehen. Ich hätte bei einer schweren Krankheit trotzdem die beste Medizin beansprucht.

Von welchem Gegenstand in Ihrem derzeitigen Besitz würden Sie sich nie freiwillig trennen? Und was in Ihrem Besitz würde sich besonders eignen, es mit anderen zu teilen?

Die Armbanduhr meines Vaters würde ich nicht freiwillig hergeben, höchstens an meine Kinder. Wohneigentum teile ich gerne mit Personen, die mir nahestehen.

Das Gespräch führte Christine Schulthess.

SRF 1, Sternstunde Philosophie, 19.9.2021, 11:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel