Der Mensch sei nichts weiter als eine molekulare Maschine, sein Hirn ein raffinierter chemischer Computer. Das ganze Universum sei das Ergebnis eines Zufalles. Das ist die Ansicht vieler Naturwissenschaftler. Als logische Folge wird gleichsam auch Gott abgeschafft. Es braucht Gott nicht mehr, um die Welt und ihre Entstehung zu erklären.
So verblüffend stringent und nachvollziehbar dieses Denken erscheint, die Gegenstimmen werden lauter. Stimmen, die nicht aus der esoterischen oder fundamentalistischen Ecke kommen, sondern Ausdruck eines wissenschaftlichen Denkens sind.
Ein Gespräch mit dem Physiker und Naturphilosophen Hans-Dieter Mutschler.
SRF: Es gibt Physiker, die behaupten, dass sich Gott gleichsam aus der Formel des Lebens herausstreichen lässt. Was entgegnen Sie?
Hans-Dieter Mutschler: Das stimmt – für die Physik! Innerhalb der Physik kann Gott keine Rolle spielen. Er ist von der Methode her ausgeschlossen. Er kann auch in der Biologie nicht vorkommen. Somit muss die Frage, ob es Gott gibt, von der Metaphysik, von der Psychologie oder der Soziologie beantwortet werden.
Innerhalb der Physik kann Gott keine Rolle spielen.
Auch die Physik kennt aber eine Art Schöpfungsgeschichte. Sie erklärt die Entstehung der Welt aus einer molekularen Logik heraus, die auf Zufällen basiert.
Bei der Entstehung des Lebendigen haben nicht vorhersehbare Zufälle eine riesige Rolle gespielt. Vom Standpunkt der Physik aus ist der Zufall die Negation von Gesetzlichkeit und hat weiter keine Bedeutung. Wenn wir die Welt aber metaphysisch deuten, stellt sich die Frage: Können wir Zufall nicht als Schöpferwirksamkeit Gottes interpretieren?
Das Schlüsselereignis für unser Universum war der sogenannte Urknall. Wie stellen Sie sich diesen Moment vor?
Jeder, der sich den Urknall vorstellt, liegt falsch. Den Urknall gibt es im eigentlichen, ontologischen Sinne nicht. Er bezeichnet die Grenze der Berechenbarkeit: Da, wo unsere Berechnungen Singularitäten erzeugen – Lücken, über die wir nicht hinwegkommen – das nennen wir Urknall. Wahrscheinlich wird der Urknall in 20 Jahren wieder verschwinden, weil wir dann weiterrechnen können.
Das Entstehen unseres Universums wird in der Physik mit der sogenannten Quantenfluktuation verknüpft. Was muss man sich darunter vorstellen?
Die Quantenfluktuation steht heute hoch im Kurs. Demnach existierte am Anfang ein Quantenvakuum und das zerfiel spontan in Materie und Antimaterie. Aus diesem Zerfall ergab sich dann das Spiel der Welt.
Dies hat man erfunden, um die creatio ex nihilo («die Schöpfung aus dem Nichts», Anm. d. Red.) der Theologie überflüssig zu machen. Aber ein Quantenvakuum, das die Fähigkeit hat, in Materie und Antimaterie zu zerfallen, ist nicht nichts. Das Nichts ist jedoch kein Thema der Physik. Die Physik muss immer etwas Existierendes voraussetzen.
Jeder, der sich den Urknall vorstellt, liegt falsch.
Was sagt das aus über den Menschen und seine Stellung im Kosmos?
Die Frage über die Stellung des Menschen im Kosmos ist eine philosophische Frage. Die meisten Materialisten nehmen an, dass wir durch einen gigantischen Zufall entstanden sind, wie eine Eintagsfliege am Rande des Universums existieren und dann wieder verschwinden. Wir sollen keine Bedeutung für die Welt haben.
Ich bin da nicht so sicher. Wenn wir annehmen, dass der Mensch geistige Fähigkeiten besitzt, die sonst in der Natur nicht vorkommen, dann muss der Geist gleichwohl seine Finger im Spiel haben. Es muss schon immer etwas Psychisches oder Geistiges gegeben haben, sonst könnte es im Menschen nicht zur Geltung kommen.
Wir sollen keine Bedeutung für die Welt haben. Ich bin mir da nicht sicher.
Physiker träumen davon, dass die Menschheit ein bemanntes Raumschiff zum Mars oder noch weiter schicken könnte. Was steckt dahinter?
Darüber habe ich viel nachgedacht und ich frage mich, weshalb wir so häufig spekulieren, ob es intelligentes Leben auf anderen Planeten gibt und ob wir es besuchen können. Ich habe den Eindruck, dass für Menschen, die nicht mehr an Gott glauben, die Leere des Universums eine Bedrohung ist.
Wir sind ganz allein, es ist ziemlich kalt. Da tröstet die Vorstellung, auf einem Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems auf grüne Männchen zu treffen. Dann wären wir nicht mehr so allein.
Sie sehen, ich mache mich ein wenig lustig darüber. Im Grunde sprechen wir über eine psychologische Angelegenheit. Denn faktisch sind die nächsten Exoplaneten, die bewohnbar sein könnten, Lichtjahre entfernt, da kommen wir nicht hin.
Trotzdem scheint diese Vorstellung nicht nur die Science Fiction-Literatur zu beflügeln, sondern auch die Köpfe vieler Wissenschaftler. Was würde es bedeuten, wenn man plötzlich ausserirdisches Leben entdecken würde?
Aus wissenschaftlicher Optik wäre es wichtig herauszufinden, ob es Leben auf anderen Planeten gibt und ob dieses nach den darwinschen Prinzipien funktioniert oder nicht.
Wenn es nämlich nicht danach funktioniert, würde der Darwinismus nur eingeschränkt, allein auf unsere Erde, zutreffen. Das würde die Erklärungskraft dieser Theorie radikal beschneiden.
Das Gespräch führte Markus Matzner.
Sendung: SRF 1, Sternstunde Philosophie, 25.5.17, 11 Uhr