Wer in Bangladesch über sexuelle Belästigung schreibt, in Malta Korruption aufdeckt oder in der Slowakei mafiösen Verstrickungen von Politikern nachgeht, riskiert sein Leben. Journalistinnen und Journalisten tun es trotzdem – mutig und hartnäckig.
Die Nichtregierungsorganisation «Reporter ohne Grenzen» unterstützt sie, wenn sie in Gefahr geraten. Die Journalistin Gemma Pörzgen engagiert sich seit 25 Jahren bei der NGO. Sie sieht die Pressefreiheit auch in Europa bedroht.
SRF: Die Organisation «Reporter ohne Grenzen» blickt auf ihr 35-jähriges Bestehen, die deutsche Sektion auf 25 Jahre zurück. Haben Sie gefeiert?
Gemma Pörzgen: Zu feiern gab es nichts. Ich habe vor 25 Jahren neben meiner Arbeit als Journalistin die deutsche Sektion mit aufgebaut. Ehrenamtlich. Damals galt das Engagement für die Pressefreiheit als Hobby, als Nischenthema, das niemand so richtig wahrnahm. Dies hat sich völlig verändert. Die Pressefreiheit ist heute ein zentraler Begriff. Sie wird untrennbar mit der Demokratie verbunden.
Wie zeigt sich das in der konkreten Arbeit von «Reporter ohne Grenzen»?
Die Probleme mit der Pressefreiheit sind näher gerückt. Denken wir an die Journalistenmorde in der Europäischen Union in den letzten Jahren. Oder an die vielen Medienleute, die bei Fussballspielen und an Demonstrationen angegriffen werden, etwa bei Aufmärschen von Neonazis. Das sind neue Entwicklungen.
Sie sprechen die Ermordung der Journalistin Daphne Galizia auf Malta an. Sie hat über Korruption und Geldwäscherei geschrieben und wurde 2017 durch eine Autobombe getötet.
Bei diesem Fall auf Malta merkte man, wie wichtig die Zivilgesellschaft ist. Nach diesem Mord entstand ein enormer Druck aus der Bevölkerung, die Aufklärung verlangte. In der Zwischenzeit mussten mehrere Regierungsmitglieder zurücktreten.
Auch in der Slowakei, wo der Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte umgebracht wurden, geriet die ganze Gesellschaft in Aufruhr. Das ist nicht selbstverständlich. Doch in vielen Ländern laufen die Ermittlungen ins Leere.
Im letzten Jahr wurden 49 Medienschaffende umgebracht.
Wo ist die Berichterstattung derzeit am gefährlichsten?
Leider in vielen Ländern. Wir sehen in unserer Jahresbilanz, dass Ende des vergangenen Jahres weltweit 389 Journalistinnen und Journalisten im Gefängnis waren, vor allem in China, Ägypten und Syrien. Sehr schwer ist es auch in Afghanistan, Pakistan und Somalia. Dort gab es am meisten Morde.
Im letzten Jahr wurden 49 Medienschaffende umgebracht. Diese Zahl ist zwar kleiner als im Vorjahr mit 89 Fällen. Das hängt damit zusammen, dass weniger Journalistinnen und Journalisten in Kriegs- und Krisenregionen ums Leben kamen. Wir beobachten, dass immer weniger Medienschaffende aus solchen Gebieten berichten. Viele flüchten denn auch ins Exil. Wir versuchen, sie dabei zu unterstützen.
Gelingt das?
Wir haben in Deutschland erlebt, dass sich während der Flüchtlingskrise 2015 viele Redaktionen öffneten und bereit waren, ausländische Berufsleute stärker einzubeziehen. Damals konnten wir viele bedrohte Journalistinnen und Journalisten vermitteln. Doch das war ein Hype.
Heute ist es beschämend zu sehen, wie wenig sie in den Redaktionen auf Wertschätzung stossen. Dies, obwohl sie viele Kenntnisse über ihre Herkunftsländer mitbringen und dort jahrelang als journalistische Profis gearbeitet haben. Da müssten sich noch ein paar Türen mehr öffnen. Der Hype von damals hat keine nachhaltige Wirkung entfaltet.
«Reporter ohne Grenzen» bemüht sich darum, bedrohte Journalisten zu unterstützen. Inwiefern kommt diese Hilfe auch Journalistinnen zu?
Es sind auch Frauen dabei wie etwa Shammi Haque, Journalistin und Bloggerin aus Bangladesch. Wir haben ein Stipendiaten-Programm zur digitalen Sicherheit. Daran war zum Beispiel eine Brasilianerin beteiligt, die mit Hassreden eingedeckt wurde.
Dann gibt es in Afghanistan ein Zentrum für den Schutz von Journalistinnen, das wir 2017 mitgegründet haben. Es ist zentral, dass mehr Frauen diesen Beruf wählen und sich darin bewähren, denn so wird die Berichterstattung vielfältiger.
Meist ist es für Journalistinnen einfacher, über die Lebensbedingungen der Bevölkerung zu berichten. Sie können sich eher mit Frauen und Männern treffen und mit beiden Geschlechtern sprechen. Dies ist für Reporter in muslimischen Ländern oft schwieriger.
Das Gespräch führte Sabine Bitter.
Sendung: Kontext, Radio SRF Kultur, 5.2.2020, 09:02 Uhr