Jesus von Nazareth ist nicht nur in der Bibel zuhause. Wer hätte das gedacht: Er ist auch im Koran, im Heiligen Buch der Musliminnen und Muslime, eine wichtige Figur.
Das Leben Jesu wird in beiden Traditionen ähnlich beschrieben. Es gibt aber auch gewichtige Unterschiede.
Eine Sure für Maria
Der Koran widmet Maria, der Mutter Jesu, eine ganze Sure. Es ist die einzige Sure, die nach einer Frau benannt ist.
Wie in der Bibel kündigt ein Engel der Jungfrau Maria die Empfängnis und Geburt eines ausserordentlichen Kindes an. Jesus wird jungfräulich empfangen und geboren.
Ein sprechender Säugling
Im Koran werfen Verwandte Maria nach der Geburt Jesu Hurerei vor. Doch mit Gottes Hilfe vollbringt Jesus sein erstes Wunder: Als Säugling kann er sprechen.
Noch in der Krippe liegend verteidigt er seine Mutter: «Ich bin der Diener Gottes. Er gab mir das Buch und machte mich zum Propheten.»
Diese Schilderung erinnert an die erstaunliche Geschichte vom zwölfjährigen Jesus in der Bibel. Statt nach einer Wallfahrt nach Jerusalem mit den Eltern nach Hause zurückzukehren, unterhält sich der Junge Jesus im Tempel mit Gelehrten.
Seine Eltern finden ihn nach drei Tagen. Da meint Jesus lapidar: «Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, das meinem Vater gehört?»
Im Koran folgen viele weitere Wunder, die Jesus vollbringt: Stumme sprechen, Blinde sehen, Lahme gehen, Tote werden zum Leben erweckt. Sie gleichen den Wundererzählungen in der Bibel.
Dreifaltigkeit passt nicht zum Islam
Und dann gibt es zwischen Koran und Bibel gewichtige Unterschiede. Jesus ist und bleibt im Koran ein Mensch. Als Beleg wird angeführt, er habe schliesslich gegessen.
Der Jesus im Koran ist ein Prophet, aber nicht der Sohn Gottes. Die Dreifaltigkeit Gott-Sohn-Heiliger Geist, das würde dem strengen Ein-Gott-Glauben der Muslime widersprechen.
Verschiedene Religionen, gleiche Zweifel
Die Schriftsteller Sibylle Lewitscharoff und Najem Wali haben sich in einem gemeinsamen Buch mit Jesus in Bibel und Koran beschäftigt. Najem Wali ist als Muslim im Irak aufgewachsen und lebt seit 1980 in Deutschland. Heute ist er Atheist.
Najem Wali weist auf einen weiteren Unterschied zwischen Koran und Bibel hin: «Dem Koran zufolge ist Jesus nicht am Kreuz gestorben, sondern er wurde von Gott in den Himmel erhoben.»
Warum wird ausgerechnet die Kreuzigung in Frage gestellt? Die Kreuzigung Jesu ist eines der wenigen Ereignisse aus dem Leben Jesu, das historisch durch ausserbiblische Quellen bezeugt ist.
Sibylle Lewitscharoff ist in einem evangelischen Umfeld aufgewachsen, ihren Glauben bezeichnet sie heute als «schütter». Sie schreibt dazu: «Das ungeheuerliche Leiden Jesu findet im Koran nicht statt.»
Und sie folgert: «Der Koran betont die Erhabenheit Allahs, kein Schatten darf auf die wichtigen Figuren fallen, die ihn bezeugen. Eine elende Hinrichtung passt da nicht ins Bild.»
Die nächste Auferstehung
Spätere Auslegungen des Korans schmücken weiter aus: Jesus wird am Jüngsten Tag oder am Ende aller Zeiten wiederkommen und die Einheit der Menschheit herstellen. Und dann wird Jesus auch heiraten und Kinder zeugen.
Und schliesslich soll Jesus dann richtig sterben und in Medina neben Mohammed beigesetzt werden. Frau und Kinder: was die Phantasie vieler Autoren und Filmemacher Jesus bereits zu Lebzeiten gewünscht hat, das stellt ihm die islamische Tradition wenigstens für die ferne Zukunft in Aussicht.