Menschen, die aus ihrer Heimat flüchten müssen, weil sie verfolgt werden, wegen ihrer Religion. Die Schlepper bezahlen, um sich in Sicherheit zu bringen. Die sterben, weil ihr völlig überfülltes Boot kentert: Die Fluchtgeschichten der Hugenottinnen und Hugenotten aus dem 17. Jahrhundert klingen verblüffend vertraut. Und auch den Dichtestress gab es damals schon.
Zu wenig Raum für zu viele Menschen
Die Menschen, die die Geflüchteten aufnehmen mussten, lebten auf engstem Raum, in Grossfamilien. «Wenn dann noch Flüchtlinge dazu kamen, konnte einem schon die Decke auf den Kopf fallen», erzählt Stadtführerin Barbara Hutzl-Ronge. Sie ist spezialisiert auf die Zürcher Religionsgeschichte.
Dichtestress gab es auch, weil die Wohnungspreise stiegen und das Essen knapp und teuer war. Hinzu kam, dass die Geflüchteten jahrelang blieben. Klar also, dass gewisse Zürcherinnen und Zürcher murrten.
Zuwachs zahlte sich aus
Im grossen Ganzen wurden die hugenottischen Glaubensgenossen aber willkommen geheissen. Und die Zürcher profitierten auch von ihnen.
Das zeigt eine Station des neuen Zürcher Hugenotten-Stadtrundgang besonders deutlich: das Rektorat der Universität Zürich. Ein herrschaftliches Haus, innen luxuriös ausgestattet mit Stuck, edlen Holztüren, Deckenmalereien und Wandteppichen.
Joseph Orelli hat es Ende des 17. Jahrhunderts so edel ausgestattet. Geld gemacht hat er mit einer Fabrik für Seidenbänder und französischen Taft. Das Wissen über die Herstellung hatte er, mit grosser Wahrscheinlichkeit, von einem hugenottischen Gast, den er aufgenommen hatte.
Die Hugenotten waren in der Textilbranche viel weiter als die Eidgenossen.
Und das hatte System, erzählt Stadtführerin Barbara Hutzl-Ronge: «Die Hugenotten waren in der Textilbranche viel weiter als die Eidgenossen.» Um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, mussten sie die Schweizer Gastgeber zuschauen lassen.
Schweiz profitiert bis heute
Die Hugenottinnen und Hugenotten brachten ihr vielfältiges Know-how in die Schweiz mit: So zum Beispiel den Indienne-Baumwolldruck, ohne den es kein Glarnertüechli gäbe. Auch die Uhrenindustrie profitierte von der Fachexpertise der Geflüchteten.
Sie erweiterten auch den Speiseplan der Schweizer: «Erbsli und Lauch kamen mit den Hugenotten in die Eidgenossenschaft», sagt Barbara Hutzl-Ronge.
Das Wissen blieb, die Hugenottinnen und Hugenotten mussten allerdings weiterziehen. 1693 beschlossen die reformierten Stände die Ausweisung, 1699 wurde sie durchgeführt.
Die meisten hugenottischen Geflüchteten wanderten weiter nach Deutschland, wo es mehr Arbeit gab. Ihr Fluchtweg ist nun vollständig nachvollziehbar, im internationalen Hugenotten- und Waldenserpfad, der mit dem Stadtrundgang in Zürich jetzt komplett ist.