SRF: Warum wird jemand Banker?
Stefan Leins: Einer der wichtigsten Treiber ist das Geld. Und alles, was mit Geld verbunden ist: Ansehen, Macht, Kleidung.
Wie übt jemand mit diesem Antrieb seinen Job aus?
Die Leute verhalten sich oft weitgehend ökonomisch. Sie sind rational, wägen ab, versuchen, aus allen Situationen Gewinn herauszuholen.
Aus kulturwissenschaftlicher Sicht ist spannend: Sie sind nicht so, weil sie schon immer so waren, sondern weil das von ihnen erwartet wird.
Es gibt eine ganz eigene Ethik im Banking. Es ist okay, wenn man auch bei den Personen, mit denen man zusammenarbeitet, versucht, den Profit zu maximieren.
Wenn man etwa Trader anschaut, würde man von aussen denken: Die zocken sich ständig gegenseitig ab. Das Netzwerk oder sogar Freundschaften leiden aber nicht darunter. Das ist Teil des Spiels.
Wie loyal sind Bank-Angestellte?
Sie sind überhaupt nicht loyal. Viele Bankangestellte erleben seit zehn Jahren ständige Umstrukturierungen. Sie befinden sich in der absurden Situation, dass sie sehr viel verdienen und von daher eine grosse finanzielle Sicherheit haben.
Auf der anderen Seite wird ihnen ständig gezeigt: Diese Sicherheit kann jeden Tag vorbei sein. Dadurch entsteht bei vielen Leuten ein Groll gegenüber der Bank.
Wie äussert sich das?
Viele sagen sich: Die machen sowieso, was sie möchten. Ich hole raus, was ich noch rausholen kann. Und dann mache ich mir ein schönes Leben.
Banker mögen den Begriff ‹Banker› nicht.
Es ist immer die Rede von «Bankern». Sie sagen aber, man muss unterscheiden.
Den «Banker» gibt es nicht – das ist eine krude Aussenperspektive. Und die Leute «im Feld» mögen das Wort überhaupt nicht. Das habe ich selbst erst in meinen Forschungen gemerkt. Es sind ganz verschiedene Tätigkeiten, die relativ wenig miteinander zu tun haben.
Wenn man sich eine Person anschaut, die Derivate strukturiert, und dagegen einen Kundenberater, dann sind das völlig gegensätzliche Berufe. Der eine arbeitet sehr mathematisch, die Aufgabe des anderen ist es, mit Leuten umgehen zu können, zu verstehen, was ihre Ängste, Wünsche und Hoffnungen sind.
Der Begriff «Banker» ist nicht nur verallgemeinernd, sondern auch negativ konnotiert. Sind sich die Bankangestellten ihres schlechtes Images bewusst?
Sicher. Das führt auch zu viel Unmut. Auf der anderen Seite hat gerade die Krise 2008 zu Sinnkrisen bei den Leuten selbst geführt. Sie fragen sich: Was mache ich hier eigentlich? Bin ich Teil von etwas, von dem ich nicht Teil sein möchte? Gibt es Auswege?
Es scheint aber auch niemand zu versuchen, das Image in der Öffentlichkeit zurechtzurücken.
Einfache Angestellte können nicht tun, was ich als Forscher mache: erzählen, wie es ist. Wenn man als Bankangestellter etwas in der Öffentlichkeit sagt, wird das geahndet.
Es gab eine kurze Zeit um 2008, in der Angestellte gesprochen haben. In der Folge davon haben viele Schweizer Banken PR-Leute angestellt, die darauf geachtet haben, dass niemand etwas sagt, ohne dass es von der Bank abgesegnet wird.
Wenn sie ihre Leute massregeln oder sanktionieren, können Banken nicht daran interessiert sein, dass ihr Image sich bessert.
Das ist für mich in der Tat ein grosses Rätsel. Es sind viele problematische Dinge gelaufen im Finanzsektor. Es laufen nach wie vor viele problematische Dinge.
Es hätte aber viele Gelegenheiten gegeben zu sagen: Ja, hier haben wir ein Problem, aber dort ist es nicht so. Die Krise wäre eine Chance gewesen, ein differenziertes Bild zu liefern. Das wurde aber nicht gemacht.
Die Krise wäre eine Chance gewesen, ein differenziertes Bild zu liefern.
Dieser Sektor nimmt auch die Verantwortung gegenüber der Gesellschaft nicht wahr oder schmettert sie mit Arroganz ab. Wir kennen die Statements von hohen Stellvertretern: ‹Gut, dann gehen wir eben nach London und sind nicht mehr in der Schweiz›.
Diese Arroganz erstaunt mich immer wieder. Und auch diese Nicht-Bereitschaft, auf den gesellschaftlichen Diskurs einzugehen.
Das Gespräch führte Manuela Siegert.