Der mutmassliche Attentäter von Neuseeland war um eine grosse Verbreitung seiner Tat im Internet bemüht. Ist er auch dort radikalisiert worden? Die Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpsychologin Diana Rieger erklärt, wie Radikalisierung im Netz geschehen kann. Und wie man damit umgeht.
SRF: Halten Sie es für möglich, dass sich der mutmassliche Täter hinter dem Anschlag in Christchurch im Netz radikalisiert hat?
Diana Rieger: Ich halte es für möglich, dass das Internet dazu beigetragen hat. Wir gehen in der Forschung eher davon aus, dass das Internet eine Verstärkerfunktion haben kann, aber nicht der Auslöser für eine Radikalisierung ist.
Das heisst, es müsste schon eine andere Disposition gegeben haben.
Grob kann man sagen: Wenn bei einem Menschen in seinem normalen Leben alles in Ordnung gewesen wäre, könnte alleine das Ansehen von extremistischen Propagandavideos nicht als Auslöser gesehen werden.
Aber wenn andere Prädisposition zusammentreffen mit so einer Verstärker-Funktion, wie sie das Internet übernehmen kann, dann wird das möglich.
Öffentlichkeit ist erst mal gut.
Der mutmassliche Täter nutzte das Forum 8chan. Welche Rolle spielt dieses Forum unter Rechtsradikalen oder anderen Gruppierungen?
8chan ist eine Weiterentwicklung von 4chan. Und 4chan hat eine lange Historie darin, dass es genutzt wird, um zu trollen – also Störungen in die Kommunikation zu bringen, Verwirrung zu stiften.
In beiden Foren kann man anonym posten. Ich denke, dass solche Foren unter dem Deckmantel der Anonymität Meinungsäusserungen fördern können, die nicht so gesellschaftlich konform sind .
8chan ist frei zugänglich. Erhöht das die Gefahr, dass jemand dort radikalisiert wird?
Nein, das sehe ich nicht so. Öffentlichkeit ist es erst mal gut. Dadurch, dass es nicht im Dark Web versteckt ist, erhöht sich theoretisch die Wahrscheinlichkeit, dass Gegenrede betrieben werden kann. Dass Nutzer und Nutzerinnen sagen: «Hey, sowas kann man noch nicht sagen» und Gegenargumente liefern.
Facebook ist in der Verantwortung, diese Videos möglichst schnell aus dem Netz zu nehmen.
Der mutmassliche Täter hat auf 8chan ein Manifest veröffentlicht. Wollte er so Nachahmer finden?
Grundsätzlich würde man so einem Attentäter zwei verschiedene Ziele nachsagen. Zum einen, Aufmerksamkeit zu erregen um vielleicht mögliche Nachahmungstäter anzustacheln. Und als zweites Ziel, dass die redaktionellen Medien im Nachgang von so einer Tat die Botschaften verbreiten.
Die Tat wurde auf Facebook live gestreamt. Welche Wirkung kann ein solches Video entfalten?
Die sozialen Medien spielen in dem Moment, wo auch Live-Streaming möglich gemacht wird, den alten Zielen des Terrorismus in die Hände: Dass Angst und Schrecken verbreitet wird. Zu zeigen, wie mächtig Attentäter sein können. Die Reichweite, die das jetzt hat, ist natürlich neu.
Ist es wichtig, dass Facebook dieses Video möglichst schnell löscht? Oder werden durch das Löschen Gegenreaktionen verhindert?
Facebook ist in der Verantwortung, diese Videos möglichst schnell aus dem Netz zu nehmen, weil es bestimmt gegen rechtliche Vorschriften verstösst.
Auf der anderen Seite muss Facebook trotzdem eine Gegenreaktion publik machen. Das haben wir schon bei den Anschlägen nach Charlie Hebdo gesehen, als der Hashtag #JeSuisCharlie viral gegangen ist. Anteilnahme für die Opfer und die Angehörigen der Opfer ist wichtig und wird gleichermassen über die sozialen Medien abgewickelt.
Das Gespräch führte Andres Hutter.
Sendung: Radio SRF 4 News, Echo der Zeit, 18.3.2019, 18:00 Uhr.