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«The Kids Are Alt-Right» heisst ein vielgeklickter Song der US-Band Bad Religion aus dem Sommer 2018. Die Musiker sind keine Kids mehr, eher Altherren-Punks, und sie beklagen, dass die Kids heutzutage nicht mehr links sind, sondern rechts. Weit rechts – Alt-Right.
Die Neue, die Alternative Rechte in den USA ist attraktiv für Leute, die sich vom sogenannten Mainstream absetzen wollen. Vor allem für junge, weisse Männer.
Die Punkveteranen von Bad Religion kommen daher wie der wohlmeinende linksliberale Lehrer, der fassungslos zur Kenntnis nehmen muss, dass seine Schüler ein Faible für Faschisten entwickelt haben.
Alt-Right-Bewegung in den USA
Die Kids sind plötzlich Alt-Right, dabei waren sie doch immer «alright». 1965 landen The Who einen Hit mit «The Kids Are Alright», einer Hymne auf die rebellische Jugend der 1960er-Jahre.
Der Slogan steht für den Glauben an das Gute in den aufständischen Kids. Daran, dass junge Leute, die vom Mainstream abweichen, automatisch nach links driften. Dass ihr Herz links schlägt, wie es im politromantischen Jargon hiess.
The Who sind mittlerweile über 70 und spielen das Lied bis heute. Ihr Sänger Roger Daltrey befürwortet den Brexit. Dass die Kids nicht mehr «alright» sind, sondern schon mal rechts bis rechtsextrem, ist keine Errungenschaft der Alt-Right. Die Koordinaten der Pop-Rebellion haben sich verschoben.
1976 singen die Sex Pistols, die populärste Punkband des Planeten, von «Anarchy In The UK» und landen ihren grössten Hit mit «God Save The Queen», der Titel reimt sich auf «The Fascist Regime».
Dass Punk in England damals schon mal mit Nazi-Symbolen flirtet, dient vor allem der Provokation der Eltern. Die hatten schliesslich den Krieg gegen die Nazis gewonnen, da taugt die Tochter im Hakenkreuz-Shirt oder der Sohn in SS-Uniform zum Skandal.
Punk bedeutet Abgrenzung
Historisch geht es dem Punk vor allem um Abgrenzung. Abgrenzung gegen die verhassten Hippies, die in den 1970ern den gar nicht so langen Marsch in die Institutionen absolviert haben: von der subversiven Gegenkultur hinein ins neue Establishment.
Wenn die arrivierten Hippies sich als Linke bezeichnen, dann kokettieren Punks eben mit rechter Symbolik. Ansonsten sind die Punk-Kids «alright»: gegen Rassismus, gegen den rabiaten Neoliberalismus von Margaret Thatcher und Ronald Reagan.
Was ist Punk heute?
40 Jahre später werden die Koordinaten wieder verschoben. «She was punk rock!», ruft ein aufgeregter Typ um die 40 in einer populären US-Talkshow.
Sein Name ist Gavin McInnes, er war Mitgründer der Zeitschrift Vice und ist einer der Stars der Neuen Pop-Rechten in den USA. «She» – das ist Margaret Thatcher, konservative Premierministerin Grossbritanniens, Lieblingsfeind der Punks in den 1980ern.
Warum dichtet Gavin McInnes ausgerechnet Thatcher posthum zum Punk um? «Thatcher war die anarchistischste Politikerin Grossbritanniens, weil sie den Markt befreit hat von staatlicher Bevormundung.» So definiert Gavin McInnes die Anarchie in Grossbritannien in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau.
Im Herbst 2018 setzt er noch einen drauf: «Ich bin noch immer der Punk, der ich vor 20 Jahren war. Nur, dass meine Zielscheibe nicht mehr die bourgeoisen Spiesser aus den Vororten sind, sondern die politisch korrekte linke Elite.»
Aufmerksamkeit generieren
Für Gavin McInnes ist Punk eine Strategie, um Aufmerksamkeit zu generieren: Grenzen überschreiten, Tabus verletzen. Wenn die Grenzen des Anstands und die Tabus heute von einer angeblich politisch korrekten linken Elite diktiert werden, dann kommt die «punky» Provokation eben von rechts.
Mit dieser schlichten Logik wird die selbst erschaffene Kunstfigur Gavin McInnes zum Medien-Punk. So hat er es bis zu einer eigenen Fernsehshow gebracht. Zu einer sehr eigenen Show. Da steht er im Studio – Sakko, Jeans, gepflegter Vollbart – und lässt die Hose runter, um sich einen Dildo anal einzuführen. Was soll das?
Ehemals linke Medienstrategien
«Zu diesem Zeitpunkt war McInnes schon mit Vorwürfen konfrontiert, er sei ein Rechtsradikaler», erklärt der Autor Bernhard Pirkl, Kenner der Neuen Rechten in den USA.
Mit seiner Performance habe sich McInnes gegen Vorwürfe gewehrt, er sei homophob und repräsentiere eine toxische Männlichkeit. «Wenn man nicht weiss, was man von ihm halten soll, könnte man denken, dass es sich um eine linke Kommunikationsguerilla handelt», so Pirkl.
Die Übernahme linker Aktionsformen und Medienstrategien durch Rechte kennen wir auch in Europa. Etwa durch die sogenannte Identitäre Bewegung, die schon mal auf das Brandenburger Tor klettert, um zu demonstrieren.
Nicht nur der Begriff Punk wird von rechts entführt und umgewidmet, auch der Begriff Hipster macht seine Metamorphosen durch. Gavin McInnes, Prototyp des rechten Hipsters, gründet 2016 die Proud Boys, «eine Art postmoderne Burschenschaft», so Pirkl.
Die Proud Boys entwickeln sich in kürzester Zeit zu einem wichtigen Player im Kulturkampf von rechts. Sie pflegen eine Skinhead-Punk-Ästhetik und setzen der vielbeschworenen Krise des weissen Mannes einen übersteigerten Maskulinismus entgegen.
«Maximale Freiheit»
Das politische, nun ja, Programm der Stolzen Jungs formuliert Gavin McInnes so: «Minimaler Staat, maximale Freiheit, gegen politische Korrektheit, gegen ‹Rassen-Schuldgefühle›, für das Recht auf Schusswaffen, gegen den Drogenkrieg, für geschlossene Grenzen, gegen Masturbation, Unternehmer hochachten, Hausfrauen hochachten.»
Ein konzises Programm klingt anders, aber das tut dem Erfolg der Neuen Rechten keinen Abbruch, im Gegenteil. Der mitunter ironische, fast schon spielerische Umgang mit vermeintlichen Widersprüchen ist eine der Stärken der neuen Pop-Rechten – und macht ihren Reiz aus.
McInnes treibt das Spiel mit den Widersprüchen mitunter so weit, dass man schon von einer paradoxen Intervention sprechen kann.
Provokation gegen alle und jeden
Bei der spektakulären Dildo-Szene in seiner Fernsehshow performt er quasi schwulen Sex mit sich selbst und provoziert so die sprichwörtlichen bourgeoisen Spiesser aus den Vororten – aber auch viele seiner rechten Gesinnungsgenossen mit ihrem notorischen Hass auf Schwule.
Der Hauptfeind von McInnes ist allerdings die von ihm sogenannte politisch korrekte linke Elite – die wiederum Homophobie ablehnt, sich aber von einem rechten Dildo-Dandy provoziert fühlen dürfte.
Im rechten Weltbild erfindet die «Diktatur der politischen Korrektheit» immer neue Wortschöpfungen im Namen der Gerechtigkeit, sie errichtet immer neue Tabus und Sprechverbote.
Die Neue Rechte beherrscht die Codes der Popkultur und reagiert auf angebliche Tabus und Sprechverbote mit gezielter Grenzüberschreitung und bewusster Regelverletzung. Und mit dem immer gleichen Refrain: Das wird man doch noch sagen dürfen!
Demonstrative Unkorrektheit
Wie trotzige kleine Kinder kultivieren Pop-Rechte einen geradezu obsessiven Drang, verbotene Wörter in den Mund zu nehmen. In seiner Fernsehshow unterhält Gavin McInnes seine Fans mit einem Stakkato der demonstrativen Unkorrektheit.
«I say nigger all day long», verkündet ein weisser Mann in der McInnes–Show. Seine Genugtuung ist unüberhörbar, gerade so, als hätte er eine Mutprobe bestanden. Bei Gavin McInnes selbst kippt die Stimmung von Genugtuung in hysterische Freude, wenn er dem verrückten Nazi in sich freien Lauf lässt und lauthals «Sieg Heil, Sieg Heil» brüllt – und in schallendes Gelächter ausbricht.
Gegen heutige Tabus
Ja, Gavin McInnes klingt wie ein durchgeknallter Sektierer, aber er ist eine grosse Nummer der Neuen Rechten in den USA. Wenn Alt-Right-Leute «Sieg Heil» rufen oder das N-Wort in den Mund nehmen, dann brechen sie Tabus.
Tabus, die zumeist in den 1960er- und 1970er-Jahren errichtet wurden – oder erkämpft wurden, im Zuge der Revolten und Emanzipationsbewegungen.
Wir haben es hier mit einer Dialektik zu tun: Zunächst werden in den 1960ern Tabus gebrochen, vor allem sexuelle. Kein Sex vor der Ehe, Sex nur zwischen Mann und Frau, Sex nur zum Zweck der Fortpflanzung: Diese Tabus werden von der sogenannten sexuellen Revolution pulverisiert.
Neue Regeln, neue Tabus
Dafür werden neue Tabus errichtet – zum Schutz von Minderheiten, Schwachen und Unterprivilegierten. Niemand darf wegen seines Geschlechts oder seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden. Niemand darf wegen seiner Hautfarbe diskriminiert werden.
Auf diese Regeln hat sich das liberale Amerika geeinigt, liberale Gesellschaften in aller Welt. Wer gegen diese Regeln verstösst, begeht einen Tabubruch.
Die US-Autorin Angela Nagle hat in einem vieldiskutierten Buch «Kill All Normies» die medialen Strategien der Neuen Rechten analysiert. «Sieht man sich den guten Ruf der Enthemmung in der Kunstwelt, bei Linken und bei zahlreichen Theoretikern an, ist das Phänomen der Alt-Right instruktiv», sagt sie.
Hier würde man sehen, wozu es eben auch führen könne, wenn Tabus keine Rolle spielen. «Wir sollten sehr kritisch mit dieser 60er-Jahre-Idee der unbedingten Fortschrittlichkeit von Tabubrüchen und Impulsivität umgehen.»
Heilsame Kraft des Tabubruchs?
Als «60er-Jahre-Idee» kritisiert Angela Nagle den nahezu ungebrochenen Glauben an die heilsame Kraft des Tabubruchs. Ein Glaube, der sich bei vielen Linken und Linksliberalen hartnäckig hält.
Ohne grosse Unterschiede zu machen werde die Grenzüberschreitung, die Regelverletzung per se gefeiert, so Nagle. Dabei werde übersehen, wie kontraproduktiv und reaktionär Grenzüberschreitungen in der Kunst sein können.
Gerade in musikalischen Subkulturen sei der Regelbruch oft ein Rückschritt gewesen, «ein Schlag gegen die vermeintliche Feminisierung der Kultur».
Dahinter steckt die Vorstellung von einem sentimentalen, feminisierten Mainstream, dem man eine maskuline, grenzüberschreitende, unsentimentale Gegenkultur entgegensetzen müsse.
Schillernder Posterboy der Neuen Rechten
«Wenn du heute provozieren willst, wenn du deine Eltern schockieren willst, dann musst du Donald Trump wählen. Trump ist der neue Punk, Republikaner sind das neue Cool.»
Das verkündet Milo Yiannopoulos bei jeder Gelegenheit. Wie Gavin McInnes ist Yiannopoulos – «Milo» für seine Fans – eine in allen Farben schillernde Medienfigur und ein Idol der Neuen Pop-Rechten.
Milo Yiannopoulos weiss, was Trump gross macht: «Das Dissidente, Punk, Provokation, Respektlosigkeit. All das ist heutzutage besser ausgedrückt mit einer ‹Make America Great Again›-Kappe.»
Die Redensart von Trump als der neue Punk ist weniger abwegig und marginal als es auf den ersten Blick erscheint. Sie wird nicht nur von rechten Sektierern in den Mund genommen.
Vom Punk zum Wutbürger
John Lydon zum Beispiel, als Johnny Rotten Sänger der Sex Pistols, lebt heute in den USA und wird häufig gefragt, ob Donald Trump eine «politische Sex Pistol» sei. Er lächelt dann milde, rückt seine feuerwehrrote «Make America Great Again»-Kappe zurecht und nimmt einen tiefen Zug seiner Zigarette.
Das feuerwehrrote «Make America Great Again»-Shirt spannt um den Bauch rum, Lydon trägt sein Gewicht ohne Reue. Wie er dasitzt und demonstrativ pafft, gibt der Bürgerschreck von einst die Karikatur des fetten, weissen Wutbürgers.
Der lässt sich von der politisch korrekten linken Elite nicht vorschreiben, was er essen, trinken und rauchen darf. Keine Hamburger? Keine Cola? Keine Zigaretten? Von wegen. Jetzt erst recht. Das ist die Botschaft dieser Fotos, der symbolische Stinkefinger für Michelle Obama mit ihrem Gemüsegarten im Weissen Haus. Oder linksgrünversiffte Erfindungen wie den Veggie Day.
«Die Arbeiterklasse hat gesprochen»
Im britischen Fernsehen bekundet John Lydon seine Sympathien für Nigel Farage. Der ehemalige Chef der rechtsnationalen UK Independence Party war eine treibende Kraft des Brexit. Wie er selbst stehe zum Brexit, wird der Autor von «God Save The Queen, The Fascist Regime» gefragt.
«Die Arbeiterklasse hat gesprochen, und da ich selbst zur Arbeiterklasse gehöre, bin ich auch für den Brexit», sagt der Mann, der seit über 40 Jahren ein Popstar ist und Millionen von Tonträgern verkauft hat.
Donald Trump ist der neue Punk. Wer die moderne Rechte bekämpfen will, muss diese Lektion erstmal kapieren.