Der ehemalige Präsident der Reformierten Kirche Schweiz, Gottfried Locher, hat eine ehemalige Mitarbeitende in ihrer sexuellen, psychischen und spirituellen Integrität verletzt. Zu diesem Schluss kommt ein Untersuchungsbericht.
Verfasst hat den Bericht eine von der Kirche eingesetzte Untersuchungskommission. Diese wiederum hatte eine externe Anwaltskanzlei mit der Aufarbeitung betraut. Die Aufarbeitung des Falls kostete die Kirche bisher rund 400'000 Franken, wie Roland Stach, Mitglied der Untersuchungskommission, am Mittwoch vor den Medien in Bern ausführte.
Der Bericht stellt Locher kein gutes Zeugnis aus: Er habe seine Macht als Kirchenpräsident missbraucht und eine ehemalige Mitarbeitende in ihrer Persönlichkeit verletzt. Der damals oberste Reformierte hat nach Ansicht der Kommission «nicht rechtschaffen gehandelt und gegenüber der ehemaligen Angestellten kein vorbildliches Verhalten gezeigt», steht im Bericht.
Locher habe Berufliches und Privates nicht genügend getrennt, lautet ein weiterer Vorwurf. Statt die Beziehung zur Beschwerdeführerin auf das Berufliche zu reduzieren habe er stets neue Versuche unternommen, die Beziehung wieder ins Persönliche zu verlegen. Die Mitarbeitende sei damit «unerwünschten Avancen» Lochers ausgesetzt gewesen. Der Vorwurf, Berufliches und Privates nicht zu trennen, dürfte auch auf eine weitere Liebesbeziehung Lochers mit einem Mitglied des Kirchenrats gemünzt sein.
Braucht es organisatorische Änderungen?
Locher selber habe sich bei der Aufarbeitung des Falls nicht kooperativ gezeigt, bilanzierte Marie-Claude Ischer, Präsidentin der Untersuchungskommission, vor den Medien. Die mit der Untersuchungsarbeit betraute Anwaltskanzlei habe zu Locher Kontakt gesucht, dieser sei darauf aber nicht eingetreten.
Die Kommission hat zuhanden der Kirchenleitung verschiedene Empfehlungen abgegeben. Die Reformierte Kirche unterstützt bis auf einen sämtliche Vorschläge, sagte Präsidentin Rita Famos. Anderer Meinung sei die Kirchenleitung in Bezug auf vorgeschlagene organisatorische Änderungen. Das Kirchenparlament habe erst vor kurzem eine neue Verfassung in Kraft gesetzt, führte Famos aus. Sie brauche nicht bereits revidiert zu werden. Doch letztlich entscheide dies das Kirchenparlament im kommenden Herbst.
Die Kommission schlägt der Kirchenleitung vor, eine von der ehemaligen Mitarbeiterin gestellte Forderung auf Wiedergutmachung zu prüfen.
Mitarbeiterin wirft «Grenzüberschreitungen» vor
Als Gottfried Locher 2011 Präsident der Evangelisch Reformierten Kirche Schweiz wurde, galt er vielen als Hoffnungsträger. Später erhob aber eine ehemalige Angestellte Vorwürfe wegen «Grenzüberschreitungen». Auch weitere Frauen erhoben ähnliche Vorwürfe.
2020 verliess Pfarrerin Sabine Brändlin das Leitungsgremium der Reformierten Kirchen. Sie hatte offengelegt, mit Locher ein Verhältnis gehabt zu haben. Locher sah hinter den Vorwürfen eine orchestrierte Kampagne gegen ihn. Mit PR-Beratern und Anwälten versuchte er lange, die Deutungshoheit des Geschehens zu behalten.
Ende Mai 2020 trat Locher schliesslich zurück. Neue oberste Protestantin wurde im November 2020 Pfarrerin Rita Famos. Sie hatte bereits 2018 erfolglos gegen Locher kandidiert.