«Gott ist fröhlich und bunt, er malt und liest gerne», sagt Melinda. Zusammen mit anderen 8- und 9-Jährigen besucht sie den Religionsunterricht in Ossingen (ZH). Die Kinder erzählen von ihren Erlebnissen der letzten Woche. Danach stimmt die Lehrerin ein Lied an, die Kinder singen aus voller Kehle mit.
«Wir haben eine coole Lehrerin. Darum komme ich gerne in den Religionsunterricht», erzählt Marlen. Das Basteln mache Spass, ergänzt Luzia. Und Alexander meint: «Langweilig ist es nie, wir lernen immer etwas Neues.»
Ungeliebte Gottesdienste
Der konfessionelle Religionsunterricht in Ossingen im Zürcher Weinland kommt bei den Kindern gut an. Das widerspiegelt die Erkenntnisse einer neuen Studie der Universität Zürich, die die reformierte kirchliche Bildung für Kinder im Primarstufenalter untersucht hat. Die Angebote seien vielfältig, die Kinder hätten Freude, die Mitarbeitenden seien hoch motiviert.
Weniger gut komme der Gottesdienst an, so die Studie. Das berichten auch die Kinder in Ossingen. In der Kirche sei es langweilig. Marlen findet etwa das Beten langweilig, weil man die Augen schliessen müsse. Ihr Trick: «Ich lasse eins geöffnet und schliesse nur das andere.»
Kirche sucht Nachwuchs
Studienleiter Thomas Schlag sieht die begeisterten Kinder als Chance für die Kirchen: «Vielen Gemeinden ist gar nicht bewusst, welches Potenzial in der kirchlichen Bildung steckt. Sie haben die Angebote für Kinder meistens nicht auf dem Schirm, wenn sie über Gemeindeentwicklung und kirchliche Innovation nachdenken.»
Religionssoziologische Studien zeigen, dass jede Generation weniger religiös ist als die vorherige. Aufgrund der sinkenden Mitgliederzahlen suchen die Kirchen Wege, Mitglieder zu gewinnen und zu binden.
Kinderglaube und Kindertheologie
In Ossingen ist Pause. Der 8-jährige Lars erzählt, wie er sich Gott vorstellt: «Er ist mächtig und hat viele Kräfte.» Alexander hingegen sagt bloss «unbeschreiblich» und schmunzelt.
Solche Vorstellungen sollten unbedingt ernst genommen werden, ist Religionspädagogin Mirjam Zimmermann überzeugt: «Solche Aussagen sind ein Weg, ein Gespräch zu beginnen.»
Die Auseinandersetzung mit dem Kinderglauben gehe aber über herzerwärmende Kinderzitate hinaus. Zimmermann möchte solche Aussagen ernst nehmen. Auch Primarschülerinnen und Schüler könnten den Glauben reflektieren: «Das ist nicht nur Kinderglaube, sondern Kindertheologie.»
Werden hier Kinder bekehrt?
Wenn der Religionsunterricht den Kirchen dabei helfen soll, Nachwuchs zu fördern, stellt sich die Frage, ob hier Kinder bekehrt werden. Theologieprofessor Thomas Schlag hat aufgrund der Studienergebnisse keine «problematischen Inhalte oder Indoktrination» gefunden.
Im Religionsunterricht der Kirchen solle zwar über den Glauben gesprochen, aber nicht davon überzeugt werden, sagt Religionspädagogin Zimmermann und ergänzt: «Man kann nicht nicht-religiös erziehen. Kinder werden immer von irgendwoher beeinflusst. Pädagoginnen und Pädagogen sollten den Kindern Werkzeuge zur Verfügung stellen, um selbst entscheiden können.»
Werden sich die Kinder aus Ossingen mal für oder gegen den Glauben entscheiden? An jenem Abend sind sie jedenfalls beschwingt, als sie ihre Liederhefte versorgen, die Jacken schnappen und sich auf den Heimweg machen.